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IBA-Serie IBA-Serie: Das Fachwerk mit Leben erfüllen

Von GÜNTER KOWA 09.06.2010, 17:18

QUEDLINBURG/MZ. - Zwei Stunden Zeit, gutes Wetter und taugliches Schuhwerk sollte derjenige mitbringen, der Quedlinburgs Beitrag zur Internationalen Bauausstellung (IBA) erkunden will. Denn eine Ausstellung im engeren Sinne wird er noch weniger finden als bei den anderen Pionieren des Stadtumbaus im Lande. Vielmehr lenkt ihn ein Audioguide durch die Gassen, und erklärt, was in 20 Jahren Stadtsanierung geleistet wurde und noch zu tun bleibt.

Bestandsaufnahme mag für ein Jubiläum, dagegen kaum für die IBA angemessen sein. "Perspektive Welterbe" heißt das Quedlinburger Projekt daher zukunftsbetont. Wie bezeichnend, dass es die Unesco ist, die die Stadt zu einer Strategie für das Flächendenkmal antreibt. Sie verlangt bis 2012 einen "Managementplan", für den ein Planungsbüro alle 4 000 Häuser in der Welterbe-Zone systematisch katalogisiert. Die IBA hat als Ziel ausgegeben, die "Ressource Altstadt" "nicht als Kulisse zu behandeln, sondern als Lebensraum zu aktivieren".

Was "Stadtumbau" sein kann angesichts des Gefüges von 1 300 Fachwerkhäusern, ist seit langem eine offene Frage in Quedlinburg. Die DDR hat sie auf ihre Art beantwortet: Sie beseitigte den Verfall mit Flächenabrissen. Als Ersatz gab es Plattenbauten, maskiert als Fachwerk. Wie im Quartier Neuendorf zu sehen, wäre die Stadt damit niedergewalzt worden, wäre die Wende nicht geschehen.

Seitdem weisen die massive öffentliche Förderung, nicht zu vergessen das örtliche Engagement der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, in eine Richtung, der Bevölkerungsrückgang dagegen in eine andere. Immer noch stehen 250 Fachwerkhäuser leer. Nun will die IBA auch die "Vielzahl von privaten baulichen und kulturellen Aktivitäten" hervorheben, die für die Zukunft der Stadt eine zunehmende Rolle spielen. Immerhin hat das Tradition. Die Hausbesetzer der Vor-Wendezeit, zum Beispiel. Im Audioguide kommt Guido Röber zu Wort, der sein Haus in Neuendorf im Spätjahr 1989 für sich als potentielles Wohnhaus entdeckte: "Ich hatte das dringende Bedürfnis, in dieser Stadt zu wohnen." Am Runden Tisch endlich wurde das Ende der Flächenabrisse beschlossen. Nun aber geht es darum, sagt er, "dass Quedlinburg eine lebenswerte Stadt bleibt".

Interessenten für die schwierige Immobilie "Fachwerkhaus" zu finden, wie es die Audioführung wiederholt nahe legt, mag ein Weg sein. Der Wagemut von Denkmal-Bauherren wird an Beispielen beschworen. Ein Familienvater, der nicht auf der Grünen Wiese bauen wollte, sagt: "Man verliebt sich in ein Objekt, dann ist es nicht mehr rational." Eine Interessentin kaufte ein heruntergekommenes Haus, weil sich der Hund darin wohl fühlte, eine andere eröffnete einen Laden in einem günstig ersteigerten Gebäude.

Im Architekturbüro "Q-Batur" stößt man auf ein für die Branche ungewöhnliches Geschäftsmodell. Das Büro erwirbt Häuser, um sie Interessenten anzubieten, die besondere Lebensqualität suchen, selbst in Lagen, die noch von Verfall umgeben sind. Im Klink etwa, einer Straße unweit vom Kornmarkt, haben eine Familie und ein Single je ein angrenzendes Haus mit Hilfe der Architekten nach eigenem Gusto ausgebaut und zur Rückseite ein Gartenidyll geschaffen, trotz Blick auf Ruinen.

Geschäftsführer Rudolf Koehler weiß aber auch um die festgefahrene Situation bei vielen leer stehenden Häusern: unbekannte oder unkooperative Eigentümer, andere, die sich übernommen haben oder auf Wertzuwachs spekulieren. Es gibt Fälle von schwebender Rechtslage. Eckhäuser sind schwer zu vermitteln, sie bieten kaum Freiraum. Die IBA, sagt er, müsse in Quedlinburg keine Bürgerdiskussion mehr anstoßen, oder das jährliche "Denkmalfrühstück" propagieren. Ihm würde eine Art Treuhand für problematische Häuser vorschweben. Etwas derartiges praktiziert die IBA in Halle, wo ein "Eigentümer-Koordinator" mit Hilfe eines Fördertopfes den Stadtteil Glaucha voranbringt.

Doch in Immobilien allein kann Quedlinburgs Zukunft nicht liegen. Der Architekturprofessor Wolfgang Schuster von der Technischen Universität Cottbus kennt die Stadt aus vielen studentischen Projekten unter dem Aspekt Welterbe. Er zweifelt nicht, dass die Sanierung des gebauten Erbes wichtig ist, aber: "Musealisierung wäre der Tod der Stadt". Mit Stadtreparatur könne man der Region noch kein neues Image geben. "Quedlinburg ins 21. Jahrhundert zu führen, das ist die Aufgabe". Wie manch anderer bedauert er, dass das angesehene Julius-Kühn-Institut für Pflanzenforschung seinen Neubau nicht in der Innenstadt errichtet hat. Schuster gründete eine Initiative für ein "Science Center", das das Thema Pflanzengenetik publikumsnah in einem der stillgelegten Saatzuchthöfe inszenieren könnte.

Das Projekt mit geschätzten 35-42 Millionen Euro Kosten mag Zukunftsmusik sein, das "Bildungshaus Carl-Ritter" ist es nicht. Von der IBA unverständlicherweise ignoriert, entsteht es in einem imposanten neugotischen Grundschulgebäude, das der Landkreis aus Mangel an Schülern aufgeben musste. Dank der Initiative unter anderem der Quedlinburger Bundestagsabgeordneten Undine Kurth (Bündnis 90 / Grüne) sowie Zuwendungen der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und anderer werden darin die Musikschule, die Bibliothek und die Volkshochschule ihren Sitz nehmen.

Diese kreiseigenen Einrichtungen waren akut vom Rotstift bedroht, jetzt bereichern sie das Stadtzentrum um eine neue Kulturadresse. "Es geht um Urbanität", sagt die Abgeordnete über ihre Stadt, die zum Überleben mehr brauchen wird als schön restaurierte Geschichte.

Der Audioguide ist in der Touristeninformation, Markt 2, Mo-Fr 9.30-18.30 Uhr, Sa 9.30-15 Uhr, So 9.30-14 Uhr verfügbar. Oder im Internet herunterzuladen auf den Quedlinburg-Seiten des IBA-Portals.