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Hundertwasser-Haus in Wittenberg Hundertwasser-Haus in Wittenberg: Immer der Vollendung entgegen

Von Ute Otto 18.01.2004, 17:28

Wittenberg/MZ. - Gute Laune bekommt Nathanael Lipinksi auf dem Schulweg ins Wittenberger Martin-Luther-Gymnasium selbst an nassgrauen Wintertagen, sobald Zwiebel und Fruchtkapsel in sein Blickfeld rücken. Über die Dachlinien der Plattenbauten hinweg leuchten in Himmelblau und Gold die zwei Kuppeln, mit denen Friedensreich Hundertwasser den einstigen Typen-Schulbau "Erfurt" krönen ließ.

Abgerundete Ecken, wellenförmige Linien, bunte Fensteröffnungen, aus denen Bäume wachsen. Das "Märchenschloss" sehen sich die Kinder aus der benachbarten Tagesstätte "Schnatterinchen" auf ihren Spaziergängen immer wieder gern an. "Und die Kinder lassen sich davon auch inspirieren, wenn es ans Malen und Basteln geht", sagt "Schnatterinchen"-Leiterin Sylvia Senkel. Von einem zur Hundertwasser-Schule passenden Aussehen ihrer Einrichtung, ebenfalls ein DDR-Typenbau, können sie allerdings nur träumen.

Wie sich auch die Bewohner der umliegenden Blöcke mit frischer Farbe an der Fassade begnügen müssen. Dass sie sich sehr wohl mit dem Unikum vor ihrer Haustür beschäftigen, beweisen Hinweise alljährlich im Sommer, dass die Pflanzen auf den Dachterrassen dürsten. Worauf der Gebäudeeigentümer Landkreis erklärt, dass Hundertwasser Spontanvegetation beabsichtigt habe. Was wachsen will, das wächst eben.

Bis kurz vor der Einweihung im April 1999, erzählt Michael Sandau, der Direktor des Gymnasiums, habe der Meister, der die Umgestaltung per Video verfolgte, höchstselbst Änderungen vornehmen lassen. So hat die Fruchtkapsel acht vergoldete statt vier weißer Kugeln bekommen, sind alle Fenster, statt nur mit Farbe umrandet, mit bunten Keramik-Fliesen gefasst. Deshalb auch meint Sandau, dass diese Wittenberger Schule der letzte wirkliche Hundertwasser-Bau ist. Was jetzt, nach dem Tod des Wiener Künstlers, unter anderem auch in Magdeburg entstehe, könne man höchstens als "Hundertwasser-Architektur" oder "nach Plänen Hundertwassers gebaut" bezeichnen.

Wenn Hundertwasser auch den Entwurf für die Wittenberger Schule ohne Honorar zur Verfügung stellte, setzte das Kostenlimit von zehn Millionen Mark bei der Umsetzung Grenzen. Auf fünf Millionen Mark mehr beliefen sich die Schätzungen. Dem Sparzwang zum Opfer gefallen ist unter anderem das Oberlicht über der Aula. An anderer Stelle wurde aus der Not eine Tugend gemacht, indem ein Teil der alten Fassade erhalten blieb und als zusätzliches Gestaltungs-Element wirkt. "Es sind die gleichen Treppen und auch das scheußliche eiserne Geländer findet man in jener Platte", konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einst, dass der Umbau nur äußerlich vollzogen wurde. Was Schüler und Lehrer als Herausforderung annahmen, die bis heute wirkt: Die Ausgestaltung der Klassenzimmer und Flure ist ständiges Thema für Projekte und Arbeitsgemeinschaften.

Keramiken aus der eigenen Werkstatt finden sich an Wänden und in Vitrinen, Seidenmalerei schuf Vorhänge, Arbeiten aus dem Kunstunterricht und der Kreisarbeitsgemeinschaft Kunst lassen den Gang über die Flure zum Galerie-Erlebnis werden. Selbst für das "scheußliche Geländer" haben sich die Schüler etwas einfallen lassen.

Es habe sich ein Hundertwasser-Gedanke entwickelt, der von einer Schülergeneration zur anderen weiter getragen wird, so Schülersprecher Nathanael Lipinski. "Indem bei den Schülern von der fünften Klasse an das Interesse geweckt wird, die Schule mit zu gestalten". So werde das Bewusstsein dafür geschärft, dass das Haus vorzeigbar sein müsse. Es sind auch Schüler selbst, die es vorzeigen. Von sich aus haben sie den Hostessen-Dienst übernommen, als die ABM des Fördervereins ausgelaufen war, berichtet der Direktor.

Die Zwölftklässlerin Julia Kaufhold steht dem 16-köpfigen Team der Gymnasiasten vor, die in Schichten täglich nach Schulschluss sowie auch an den Wochenenden das Info-Kabinett betreuen und Besucher führen. Etwa 20000 kommen jährlich. Und sind beeindruckt. "Ich wäre sehr froh, wenn unsere Schule auch so aussehen würde", hat Marleen aus Schneeberg ins Gästebuch geschrieben. Eine Berlinerin fasste ihre Begeisterung in zwei Worte: "Hundertwasser - Tausendsassa!"