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Herbert von Karajan Herbert von Karajan: Ein halbes Jahrhundert gab er den Ton an

Von Esteban Engel 02.04.2008, 13:38

Berlin/dpa. - Eine internationaleFangemeinde lag dem scheuen Charismatiker zu Füßen. Ob BeethovensNeunte oder Strauß-Walzer: Auch fast zwei Jahrzehnte nach KarajansTod sind die Aufnahmen eine sichere Bank für die Plattenfirmen. Andiesem Samstag (5. April) wäre der Dirigent 100 Jahre alt geworden.Die Klassik-Industrie hat deswegen alle Register gezogen: Seit Wochenfeiern CD-Editionen, DVDs, Bildbände und Erinnerungsbücher denMeister der Selbstinszenierung und genialen Musikvermittler.

Karajan ist noch immer Inbegriff des mächtigen Orchesterpatrons.Ob als Chef der Berliner Philharmoniker, der Wiener Staatsoper oderder Salzburger Festspiele, ob als Regisseur, TV-Produzent oderImpresario: Kein Dirigent hat je eine solche Machtfülle besessen.Zwischen Kriegsende und Mauerfall ging ohne den Perfektionisten fastnichts im europäischen Konzert- und Opernbetrieb. Zum «SystemKarajan« gehörten auch das schillernde Promi-Leben, die schnellenAutos und die Privatflugzeuge. Karajans dritte Ehe mit demfranzösischen Model Eliette Mouret füllte die Spalten derKlatschpresse.

An diesem Bild arbeitete Karajan ein Leben lang. GeschlosseneAugen, leuchtend graue Frisur, Rollkragenpullover oder Frack - mitweit ausholender Hand zog der Maestro auf dem Podium alleAufmerksamkeit auf sich. Zu gestischen Ausbrüchen ließ er sich nichtverleiten, ein Fingerzeig genügte. Wie in Trance steht er in denFilmaufnahmen seiner Konzerte vor dem Orchester, die Musikerverschwimmen im Halbdunkel, gestochen scharf dagegen die Karajan-Totale. Der Meister liebte die Superlative: Fast 900 Platten mit etwa140 Werken hat er zeitlebens aufgenommen. Sie summieren sich auf mehrals 250 Millionen verkaufte Tonträger.

Der Musikwissenschaftler Peter Uehling führt den Erfolg desDirigenten auf sein Werkverständnis zurück. Karajans Glaube, es gebeein Klangideal jenseits der Interpretation habe bei den Hörern einenNerv getroffen. «Dem Komponisten gerecht werden zu wollen, ist dasArbeitsethos der meisten Dirigenten. Es ist nicht das Karajans»,schreibt Uehling in seiner jüngst erschienen Biografie des Dirigenten(Rowohlt). In den Plattenaufnahmen habe Karajan seine eigeneVorstellung von Perfektion verwirklicht.

Für die Autorin und Journalistin Eleonore Büning («FrankfurterAllgemeine Zeitung») wird das Karajan-Bild von Klischees überdeckt.Karajans Arbeit lasse sich nicht über einen Kamm scheren. «SeinDirigieren hat sich im Laufe der Zeiten verändert, es unterlagEinflüssen, auch sein Selbstbild und sein Musikdenken unterlagendiesem Wandel», sagt Büning, Autorin eines neuen Buches (Suhrkamp)und einer Hörfunkreihe (SWR) über Karajan.

Die Musikkarriere war für Karajan nicht selbstverständlich, auchwenn er mit vier Jahren seine erste Klavierstunde bekam, mit acht imKonservatorium aufgenommen wurde und mit neun sein erstes Konzertgab. Sein Vater, Chirurg am Salzburger Krankenhaus undHobbyklarinettist, drängte ihn, etwas «Richtiges» zu studieren. Sowählte der Techniknarr Karajan nach der Matura das Fach Maschinenbauin Wien, besuchte gleichzeitig musikwissenschaftliche Vorlesungen undwechselte nach drei Semestern an die Musikakademie.

Nach einem ersten öffentlichen Auftritt beim Mozarteum-Orchesterin Salzburg geht er als Korrepetitor an das Stadttheater in Ulm. Baldsteigt er zum ersten Kapellmeister auf. Danach wird er mit 26 Jahrenin Aachen Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor. An denProvinzbühnen eignet er sich das breite Repertoire an, aus dem erspäter schöpfen wird. Er habe damals gelernt «das reale Orchesternicht zur Kenntnis zu nehmen», dafür umso mehr einem «imaginärenOrchester zu lauschen», das seinen Vorstellungen entsprach, sagte ereinmal. Seine Vorbilder waren der gestrenge Arturo Toscanini und derdem expressiven Klang zugeneigte Wilhelm Furtwängler.

1937 debütiert Karajan mit «Tristan und Isolde» an der WienerStaatsoper, ein Jahr später leitet er erstmals ein Konzert in derBerliner Philharmonie und «Fidelio» an der Staatsoper Unter denLinden. Die Zeitungen sprechen sofort vom «Wunder Karajan». DieNationalsozialisten hofieren den aufstrebenden Jungstar und bauen ihnals Gegenspieler zu Furtwängler auf, an dessen Loyalität sie immerwieder zweifeln. «Reichsfeldmarschall» Hermann Göring nimmt Karajanals «Staatskapellmeister» unter seine Fittiche, PropagandaministerJoseph Goebbels hält zu Furtwängler, der an der Spitze der BerlinerPhilharmoniker steht. Der gegenseitige Abneigung bestimmen fortan dasVerhältnis zwischen Karajan und Furtwängler. Bis zu seinem Tod 1954wird Furtwängler kein einziges Konzert seines Rivalen besuchen.

Das «Dritte Reich», das Dirigenten wie Erich Kleiber, Fritz Buschoder Otto Klemperer ins Exil getrieben hatte, bietet dem jungenKarajan große Entfaltungsmöglichkeiten. Als «reine Formalität» wirder später seinen Eintritt in die NSDAP herunterspielen, die Bedingungfür seine Aachener Anstellung gewesen war. Wegen seiner NS-Beziehungen wird Karajan nach dem Krieg von den Alliierten für einJahr mit Berufsverbot belegt.

So weicht Karajan 1945 ins Ausland aus, zunächst nach Italien,später nach London. Mit dem Produzenten Walter Legge, der dasPhilharmonia Orchestra eigens für Plattenaufnahmen gegründet hatte,feilt Karajan an einem «internationalen Klang», der später zumMarkenzeichen für seinen Sound wird. Als er 1955 «mit tausendFreuden» die Ernennung als Nachfolger Furtwänglers an der Spitze derBerliner Philharmoniker annimmt, ist der zweite Teil des «WundersKarajan» längst in vollem Gang. Fast bis zu seinem Tod wird Karajanden Berlinern treubleiben, auch wenn er sich mit der Stadt nieanfreundet. Zu den Konzerten reist er eigens an und wohnt im Hotel.

Überhaupt ist Karajan ständig unterwegs - in Wien, Paris oderMailand arbeitet er am Klassik-Klang der Nachkriegsgesellschaft, dieangesichts der Mühen des Wiederaufbaus «nach triebstillenderEinfachheit verlangt», wie der Musikkritiker Wolfgang Goertzschreibt. Der Philosoph Theodor W. Adorno nennt ihn den «Genius desWirtschaftswunders». Karajan selber sagte einmal dazu, er habe «denSinn für Harmonie und Schönheit der künstlerischen Aussage» wiederstabilisiert.

Tatsächlich ist Karajan Dreh- und Angelpunkt des europäischenMusiklebens der Nachkriegsjahre. Bei der Deutschen Grammophon, seinerlangjährigen Plattenfirma, hält er die Fäden fest in der Hand,produziert eine Scheibe nach der anderen. Ein Witz kursiert damals:Als ein Taxifahrer Karajan nach dem Ziel fragt, antwortet derMaestro: «Egal, ich werde überall gebraucht.» Mit unbändiger Energietreibt er die Berliner Philharmoniker an, erarbeitet sich mit demOrchester das klassisch-romantische Repertoire, feilt mit zuweilennervender Perfektionswut am Klang.

Ins Bild passt auch, dass Karajan schnell die Möglichkeiten desFernsehens erkennt. In Hans Scharouns Berliner Philharmonie, dessenBau er politisch durchgesetzt hat und zum «Zirkus Karajani» ausbaut,steht er im Saal-Mittelpunkt. Die Musikvideos, deren Produktion erbis ins letzte Detail kontrolliert, zeigen ihn im besten Licht. AlsOpernregisseur lässt er vor allem opulente Bilder aufnehmen. Und erfördert junge Musiker wie die Geigerin Anne-Sophie Mutter oder dieDirigenten Seiji Ozawa und Christian Thielemann.

Auf dem Gipfel seiner Macht kommt es zum Streit mit den BerlinerPhilharmonikern. Gegen den Willen des Orchesters will er dieKlarinettistin Sabine Meyer verpflichten, die Musiker rebellieren.Schon lange hat es zwischen Karajan und den Musikern gegärt. Nachlangem Hin und Her erklärt Karajan schließlich seinen Rücktritt.Schwer gezeichnet von einem Rückenleiden, zieht er sich in sein Hausin Anif bei Salzburg zurück, wo er am 16. Juli 1989 an den Folgeneines Herzinfarkts stirbt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wirdder Dirigent auf dem Dorffriedhof beerdigt.