Heinz Rudolf Kunze Heinz Rudolf Kunze: Der Schlangenhäuter
Halle (Saale)/MZ. - Der Wutbürger hat Kreide gefressen. "Alle suchen Liebe, alle suchen Glück", singt Heinz Rudolf Kunze, "das ist der Lauf der Welt, wir alle wolln ein Stück". Jörg Sander spielt auf der Gitarre ein Riff, aus dem "Dein ist mein ganzes Herz" weht, die Melodie schmeichelt sämig dahin.
Ein Ohrwurm für den Anfang - so hat es der Sänger, Texter und Komponist aus Hannover zuletzt eigentlich immer gehalten. Nur was danach kam, unterschied sich beim letzten Album namens "Protest" entscheidend von dem, was auf dem Nachfolger "Die Gunst der Stunde" wartet. Kunze, in den ganz frühen Tagen seiner Karriere fälschlicherweise häufig als "Niedermacher" angekündigt, gibt den Romantiker. "Ich glaube, du liebst mich", schmachtet er, "trockne deine Tränen" fordert ein Lied, "ich liebe Dich", offenbart ein anderes.
"Genau so wollte ich das", sagt der 54-Jährige, der seinen musikalischen Kurs in vermeintlich seichtere Gewässer bestätigt sieht vom Publikumszuspruch. Sein Ziel sei es gewesen, "viele freundliche Titel zu haben, die gut zu hören sind". Das sei auch eine Konsequenz aus dem zum Teil harschen, rabiaten Material von "Protest" gewesen. "Ich wollte einfach unberechenbar bleiben, zugleich aber nicht wieder alles neu erfinden." Ein Problem, das Kunze durch seine Karriere begleitet: Er suchte stets das ganz große Publikum - und flüchtete doch vor ihm, sobald er meinte, dass es ihm zu nahe kam.
Die neue Treue nun wird belohnt. Mit Platz 8 in der Hitparade und einer Konzerttournee, die schon vor Beginn ausverkaufte Stationen meldet, ist Kunzes 20. Band-Album erfolgreicher als alles, was er in den vergangenen 15 Jahren herausgebracht hat. Dennoch schmerze es ihn, wenn alte Fans seinen Kurs kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. "Ich bin eine Art Stammvater, der alle seine Gefolgsleute glücklich machen will." Entscheidend aber sei letztlich immer, was er selbst glaube tun zu müssen. Diesmal eben dies: Versteckt zwischen den Stücken, die er selbst als "Musik, die man auch beim Kochen und Bügeln hören kann" bezeichnet, stecken einige Perlen, die ebenso gut aus dem heute von Kritikern so hochgelobten Frühwerk stammen könnten. Bei "Jeder weiß" stampft noch mal im Stil von "Für nichts und wieder nichts", "Unbeliebt" entwirft eine Gegenthese zum fröhlichen "Ich glaub Du liebst mich". Kunze sieht Parallelen, wo sie mancher alte Fan nicht hören will. Allein das deftige "Kampfzone Mitte", sagt er, widerlege doch allein schon Gerüchte vom weichgespülten HRK. Und das beklemmende "Der stille Gast", sagt Kunze, "hätte schon vor 30 Jahren auf einer Platte von mir auftauchen können, nur hätte es damals viel schüchterner geklungen."
Schüchternheit, die heute nicht mal mehr verstohlen nachhallt. Heinz Rudolf Kunze hat eine neue Band um sich geschart und mit dem Selig-Musiker Leo Schmidthals auch "meine Yoko Ono gefunden" wie er sagt. "Er ist ein belesener Kollege, mit dem man auch über Philosophen diskutieren kann, nicht nur über Gitarrensaiten", lobt Kunze seinen Produzenten und Mit-Komponisten. Nicht nur Schmidthals, sondern auch die anderen Bandmitglieder hätten in einem "geradezu euphorischen Zustand" Lieder beigetragen, rühmt Kunze sein Team. "Im Vorfeld hatten wir 40 fertige Stücke, so dass ich am Ende etliche von mir draußen lassen konnte."
"Die Gunst der Stunde" klingt dennoch organisch, ein Album ohne Brüche, das bittere Momente in süße Melodien verpackt. Der Schlangenhäuter des deutschen Rock ist im Moment zufrieden mit seiner neuen Rolle als Rock-Versöhner. Wie es weitergeht, ist auch ihm selbst noch völlig unklar. Das chamäleonhafte, das ihn unverwechselbar, aber manchmal auch unkenntlich für ein breites Publikum machte, das wolle er gern "etwas begradigen", sagt Kunze. Andererseits hatten sie neulich als Band ein paar gute Gespräche, die sie seitdem die "Schweriner" nennen. "Da war Konsens, das wir beim nächsten Album weg wollen von den heiteren Farben." Ob es klappt, weiß Heinz Rudolf Kunze nicht. "Dazu kann ich immer erst danach etwas sagen."
Kunze live: 19.3, Leipzig, Haus Auensee, 20.3. Magdeburg, Altes Theater