Heinrich Böll Heinrich Böll: Der gute Mensch will entdeckt sein

Halle/MZ. - Zu Böll, der sich dem SPD-Mann Brandtpolitisch verbunden fühlte und auch als Wahlkämpfervon sich reden machte, passt eine ganze Reihevon Attributen, die sämtlich ehrenhaft sind,aber leider den Geruch des Unzeitgemäßen tragen:ehrlich, christlich und radikal moralisch,vergrübelt bis skrupulös. "Ich nehme allespersönlich zu ,ernst‘", schrieb Böll 1948an Ernst-Adolf Kunz, einen Freund aus denTagen der Kriegsgefangenschaft.
Seine Bücher sind jahrelang Renner auch inder DDR gewesen, wo man Heinrich Böll wegenseines pazifistischen Engagements sehr schätzte.Die Liebe der mächtigen Genossen in Ostberlinkühlte jedoch zuverlässig immer dann ab, wennBöll sich wieder einmal mit dem "großen Bruder"Sowjetunion angelegt hatte. 1974 nahm er denrussischen Systemkritiker Solshenizyn auf,sechs Jahre später trug er wesentlich zurAusreise des bedrohten Lew Kopelew bei. Diesweist nicht nur Bölls menschliche Lauterkeit,sondern vor allem seine politische Unbestechlichkeitaus. So angesehen der am 21. Dezember 1917in Köln geborene Schriftsteller aber zeitlebenswar, so rasch geriet er danach in Vergessenheit.Das lag wohl nicht nur am "altmodischen",unspektakulären Stil (der jetzt, da "Retro"angesagt ist, wieder in Mode kommt), sondernauch an den Themen. Krieg, Mitschuld und dieBlüten der Wirtschaftswunderwelt rückten allmählichaus dem Blick der Nachgeborenen - oder wurden,wie von den 68ern, aufregend neu verhandelt.Böll (wie auch Wolfgang Koeppen) drohte musealzu werden.
Wer aber allein die wundervolle Satire "DoktorMurkes gesammeltes Schweigen" zu lesen sichdie Freude macht, wird erfahren, dass HeinrichBöll, der heute vor 20 Jahren starb, ein höchstlebendiger Autor ist. Er will nur neu entdecktsein.