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Hans Fallada, Uli Ditzen Hans Fallada, Uli Ditzen: Uli entdeckt Herrn Fallada

Von Andreas Montag 19.03.2004, 16:26

Halle/MZ. - Bei allem, was man schon über Väter und Söhne gehört hat: Das Thema ist von Interesse, im Leben wie im Buch. Erst recht, wenn der Vater ein berühmter Autor ist und die Handlungszeit, während der wir ihm und seinem Ältesten nun nachträglich näher treten dürfen, zugleich ein brisantes Kapitel der deutschen Geschichte spiegelt.

Genau so ist es im vorliegenden Fall, deshalb tritt der private Briefwechsel zwischen Rudolf Ditzen alias Hans Fallada und dem "Uli-Bulli", geführt von 1940 bis 1946, aus seinem Rahmen heraus. Gewiss wird man sich fragen können, zu welchem Gewinn es wohl helfen soll zu lesen, was der elfjährige Ulrich den Eltern in Carwitz aus dem Internat in Templin am 22. Mai 1941 übermittelte: "Der Koffer ist heute angekommen. Vielen Dank für die Kekse, Bonbons und Schokolade. Ich war mit Wäsche sehr knapp. Heute gehen wir ins Kino."

Aber der Sinn des Unterfangens, diese Briefe zu veröffentlichen, erhellt sich rasch - die (vermeintlich) banalen, für die Nachwelt belanglosen Botschaften des Kindes gewinnen ihre Bedeutung im Kontext der Beziehung. An deren Ende, besiegelt durch Falladas Tod im Jahr 1947, bleibt ein verstörter Halbwüchsiger zurück, dem das Bild des bewunderten, geliebten Vaters schon lange zerbrochen war.

Ulrich Ditzen, der als Anwalt in Wuppertal lebt, bemüht in seinem Vorwort zu der bei Aufbau erschienenen Briefedition eine frühere Freundin als Zeugin - so, als habe er selbst die Erinnerung daran verloren: Noch in den 50er Jahren habe er von seinem Vater "nur als ,diesem Mann' gesprochen".

Nun hat der Sohn, zwanzig Jahre älter als der Vater bei seinem Tode war, die Kindheit wiedergefunden und lässt uns teilhaben an dieser Entdeckung. Dabei treten die Züge Falladas, dessen Werk sich zum besseren Teil als höchst lebendig erweist, bis in Feinheiten deutlich hervor: Es gibt Momente, da man ihn umarmen - und andere, da man ihn hassen möchte. Was ist dieser Fallada doch für ein verrückter Kerl gewesen, was hat er sich selber und anderen (wohl um die Zumutungen wissend) zugemutet: An guten Tagen schreibt er dem Jungen nicht eigentlich Briefe, sondern Geschichten. An weniger guten Tagen hagelt es Ermahnungen, an schlechten kann der Herr Schriftsteller auch mal grätig und gemein sein. Wehe, wenn der Junge wieder mit dem Lateinischen hadert oder einen Verweis bekommen hat. Unversehens, den Lauf der privaten Dinge um Landleben und Schreibarbeit immer öfter einholend, verdrängen Kriegs-Bilder die fragile Idylle in Carwitz. Und die Zusammenbrüche des Trinkers Fallada häufen sich: Es ist, als sähe man einem Mechanismus zu, dessen Ablauf einem zwar bekannt ist, in seiner Unausweichlichkeit aber nur umso grausamer erscheint.

Fallada ist ein Volksautor im besten Sinne - einer, dem man auch ernsthafte Schwächen nur zu gern nachsieht. Fragen bleiben dennoch, zumal im Politischen. Ist es allein der Zensur und der Angst geschuldet gewesen, der Junge könnte sich in seiner Schule "verplappern", wo Drill und Nazifizierung beständig zunahmen, wie man Ulrichs Briefen, also aus erster Hand, entnimmt? 1943 hat Fallada, der als unsicherer Kantonist galt, seinem Sohn geraten, ein "Kerl, ein wirklicher Deutscher" zu werden: "Jeder von uns, auch Du, wir haben grosse Aufgaben zu erledigen, wir werden eines Tages die Herren Europas sein, vielleicht auch die der ganzen Welt". Ein anderes Mal hofft er auf bessere Ernährung, wenn die "fruchtbarsten Gebiete" im Osten besetzt sein würden.

Die Briefe von Vater und Sohn, erst nach dem Tod von Ulrichs Mutter Anna Ditzen zugänglich geworden, entwerfen ein ungleichgewichtiges, aber scharfes Bild der Zeit, aus der die Familie zum Ende des Krieges fällt wie das ganze Land. Sucht, Streit, neue Ehe mit Ursula Losch - der Vater hat dem Sohn ein schweres Erbe gegeben. Das nimmt er nun an. Und entdeckt dabei sich selbst und uns Hans Fallada neu.