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Händel-Festspiele Händel-Festspiele: Romelia Lichtenstein triumphiert als Alcina

Von joachim lange 03.06.2012, 20:51

Halle (Saale)/MZ. - Am Ende ist diese Frau allein, verlassen, traurig und verzweifelt. Die Kulissen sind verschwunden, die Bühne ist ein schwarzes Loch. Sie liegt zusammengesunken an der Rampe und die letzten Worte ihres "Mi restano le lagrime" (Mir bleiben nur die Tränen) ersterben ihr auf den Lippen. Der kurze Auftritt des Chores mit seinem "lieto fine", der ein glückliches Ende verkündenden Moral von der Geschicht', hat mit ihr nichts zu tun. Kommt sowieso aus dem Zuschauerraum, wo für diesen Aufritt kurz die Türen geöffnet worden waren.

Alcina hat als liebende Frau das Nachsehen, denn ihr Geliebter Ruggiero verlässt sie, ohne viele Gedanken daran zu verschwenden, was er ihr damit antut. Er musste nur seiner taffen und ziemlich energisch ihre Rechte einfordernden Verlobten Bradamante und seinem alten Lehrer Melisso wiederbegegnen. Schon löst sich der Zauber, der ihn in eine Welt und eine Beziehung geführt hatte, in der Leidenschaft und Liebe für sich genommen ganz offensichtlich einen höheren Stellenwert haben, als in jener anderen Welt mit den grauen Anzügen, streng geschnittenen Kostümen, genau gehenden Uhren und noch genaueren Vorstellungen von Verhalten und Moral. Von da kommen Bradamante und Melisso. Sie wollen nicht nur Ruggiero zur "Vernunft" bringen und zurück holen, sondern dem ganzen Liebeszauber ein Ende bereiten. Also Schluss mit lustig für all die Aussteiger in ihrer Hippie-Kommune am Pool, wo sich jeder verkleiden oder zu erkennen geben kann, wie er - oder Alcina - es will.

Im Swimmingpool nach oben

Dass besonders Männer dabei auch Schweine sein können, daran wird in Andrej Worons turbulenter Inszenierung im sonnig hellen Guckkasten aus beweglichen Wänden, weniger durch die Kunst der Maskenbildner erinnert, die die abgelegten Liebhaber Alcinas in Tiere verwandeln, wie es die Geschichte eigentlich vorsieht. Eher schon durch das Verhalten Ruggieros und Melissos. So wie Woron und Roland Quitt die dreiaktige Vorlage der 1735 uraufgeführten Zauberoper in eine zweiaktige straffe Spielfassung übersetzt haben, sympathisieren sie nicht nur verdeckt mit der Titelheldin. Am Ende des ersten Aktes steigt in Alcinas "Ah, mio cor!" (Ach, mein Herz! Du bist verhöhnt!) nicht nur der grandios gesungene Zweifel in ihr hoch, sondern sie selbst fährt mit dem zentralen Swimmingpool in die Höhe, während sich darunter Ruggiero und Bradamante schon in den Armen liegen. Wenn dann, nach der Pause, der Orchesterfuror, die Dichte der Arien-Hits und der Kampf um die Herzen noch einmal zulegen, zieht auch Alcina alle Register. Plötzlich taucht sie im leuchtend roten Federkleid mit gewaltiger Hochfrisur in einem Glaskasten aus der Versenkung auf. Und versucht mit allen Mitteln (einschließlich Woodoo Hokuspokus) ihren Geliebten, vor allem aber ihren besonderen Lebensentwurf zu bewahren. Doch weder den einen, noch das andere kann sie halten.

Woron erzählt die Geschichte geradlinig als vorabendserienkompatibles Beziehungsdrama. Dass da auch mal kräftig (jenseits von Händels musikalischem Kosmos) kopfüber aus dem Schnürboden hängend getrommelt oder bei einer tranceähnlichen Stampfeinlage an den archaischen Unterboden der Geschichte erinnert wird, ging einigen (wenigen) Zuschauern schon mal zu weit. Geschadet hat es dem Abend insgesamt nicht. Auch nicht seiner musikalischen Qualität. Denn die ist bei Bernhard Forck und dem Händelfestspielorchester in den allerbesten Händen. Das Niveau im historisch beredten Ausdruck, die Farbigkeit und Opulenz, dieses Spezialensembles gehören längst zu den Qualitätsmerkmalen des Festspielstandortes Halle. Das wird mit dieser Neuproduktion überzeugend bewiesen.

Ungeteilter Jubel

Neben Alcina selbst hat Ruggiero die besten Arienkarten. Ob nun mit dem populären "Verdi prati" oder der Bravour-Arie "Sta nell'ircana", bei der es Händel richtig krachen lässt. In Halle macht der Counter Terry Wey nicht nur daraus einen Abräumer. Auch der zweite Counter auf der Bühne, Jeffrey Kim, schafft es, mit zwei betörend sicheren Oberto-Arien zu einem bleibenden Eindruck und Extrabeifall. Mit verführerisch dunklem Timbre und dem Mut bis an die Grenzen zu gehen, ist Bettina Ranch die temperamentvoll attraktive Bradamante. Ki-Huyun Park stattet seinen autoritären Kirchenmann Melisso mit der ganzen Macht seines Basses aus. Ines Lex' ziemlich handfest und emanzipiert auf die Objekte ihrer Begierde losgehende Morgana findet nach einem etwas scharfen Anfang zu einem überzeugenden, eigenen Profil der Alcina-Schwester, zu der der Piraten-Oronte von Andreas Karasiak ganz gut passt. Und Alcina? Die scheitert in Halle natürlich nur als Bühnenfigur. Als grandiose Interpretin und Händelprotagonistin ganz eigenen Formates macht Romelia Lichtenstein diese Zauberin zu einem Festspielereignis von Rang! Es sind nicht nur die Bühnenpräsenz und das wunderbar glühende Timbre ihrer Stimme, ihre bewundernswerte Kondition und Kraft, sondern auch die Perfektion der Koloraturen, die Mühelosigkeit mit der sie artikuliert und Gefühle zu Klang werden lässt. Wenn sie zur großen Zauberinnen-Geste ausholt, dann werden ihre Ausflüge ins dramatische Belcanto zum zusätzlichen emotionalen Treibsatz, ohne die Grenzen barocker Noblesse zu durchbrechen.

Im begeisterten Schlussjubel für die Nummer Eins des halleschen Ensembles verlieh die Oberbürgermeisterin ihr den Titel einer Kammersängerin. Die Begründung ging im ungeteilten Jubel unter. Sie war aber auch nicht nötig. Wer in Halle kein Lichtenstein-Fan ist, ist selber schuld. Wie schön, dass es zu den Selbstverständlichkeiten der Händelstadt gehört, dass die Festspielopern im Repertoire bleiben!

Nächste Vorstellung: am 8. Juni um 19 Uhr in der Oper Halle