Halle Halle: Die Schuldigen mit den sauberen Händen
HALLE/MZ. - Wie gut das freilich funktioniert, sieht man vorab an unaufmerksamen Passanten. Wer sich vor der Premiere von Shakespeares "Macbeth" auf die Bühne verirrt, die Herbert Fritsch so beiläufig mit den Wegen zu den Tribünen der Kulturinsel verzahnt hat, ist automatisch gefangen - und versucht, der öffentlichen Aufmerksamkeit durch schnelle Schritte oder Übersteigen der Absperrung zu entgehen. Will denn keiner ins Rampenlicht? Doch, einer will - gelockt durch die dunklen Versprechen von drei lasziven Hexen, die offenbar zur Truppenbetreuung an die Front geschickt wurden. Marie Bretschneider, Elke Richter und Petra Ehlert schlagen den Ton an, der den langen, pausenlosen Abend fortan durchziehen wird. Sie sind die kreischenden Swing-Sisters, die das Morden durch ihr Entertainment vorantreiben, drei obszöne Weiber mit angeklebten Bärten und tief geschnittenen Kleidern. An dieser dramaturgischen Zumutung kommt keiner vorbei, wenn er die Pulp Fiction aus dem 17. Jahrhundert inszenieren will: der tiefen Verwurzelung in irrationalen Prophezeiungen, deren erste durch einen Zufall beglaubigt wird und damit alle weiteren ins Werk setzt.
Als Komödien-Experte bekannt
Der in Halle bislang eher als Komödien-Experte gehandelte Herbert Fritsch verlegt das Geschehen mit seiner Kostümbildnerin Victoria Behr nun in eine Zeit, in der das Töten dank des möglichen Abstands zwischen Täter und Opfer eine eher abstrakte Form angenommen hat - und verstärkt damit paradoxerweise die asoziale Wucht der Geschichte. Denn wenn sich Macbeth und Banquo, Duncan und Macduff in Operetten-Uniformen begegnen, die allerdings unübersehbar auf Hollywood-Vorbilder wie "Pearl Harbor" verweisen, wird der Rückfall aus dieser modernen Krieger-Elite in die archaische Welt umso deutlicher. Der Emporkömmling von Hekates Gnaden muss mit einem über Jahrhunderte ausgehandelten Kodex brechen, um zu werden, was er will und soll.
Das allein wäre schon ein tauglicher Ansatz, aber Fritsch versucht mehr. In seinem leeren Raum, der den Schauspielern künstliche Anhaltspunkte verweigert, treibt er die Darsteller mit präzisen Choreografien zum Big-Band-Sound von Ingo Günther immer wieder in den Slapstick. Das ist plausibel, wenn es die hierarchische Ordnung in eine menschliche Schleppe aus Thronfolgern und -verteidigern verwandelt, die dem König an den Fersen klebt und bei jedem Schritt die Richtung wechselt. Und das wirkt nervtötend, wenn es die Automatismen von Befehl und Gehorsam oder das Zackig-Eckige des militärischen Drills ins Absurde treibt. Dass solche Szenen zudem das Verständnis des Textes erschweren, den Sabrina Zwach aus originalem Englisch und neuem Deutsch collagiert hat, bleibt problematisch. Wer "Macbeth" nicht kennt, wird mit der Zuordnung und Verortung des Personals Schwierigkeiten haben.
Aber dennoch sind da Darsteller, die im Gedächtnis bleiben - allen voran Danne Hoffmann und Jörg Lichtenstein, die ihre Figuren und ihre Beziehung immer wieder zerbrechen und neu zusammensetzen. Während Lady Macbeth zwischen animalischem Instinkt und kontrolliertem Furor zielstrebig in den Wahnsinn wandert, fällt ihr Mann eher sporadisch aus der Fassung - und verstrickt sich schließlich buchstäblich in den Insignien seiner neuen Macht.
Virtuose Karikatur
Sein Springen und Stolpern, seine greinende Verkrümmung unter steigendem Druck und seine hochmütige Haltung vor dem Sturz fügen sich zu einer virtuosen Karikatur - so, wie sich auch Werner Engs überdrehter Duncan und Karl-Fred Müllers unterspielter Macduff, Wolf Gerlachs degenerierter Kronprinz Malcolm und Stanislaw Brankatschks Drill-Sergeant Lenox zur Wirklichkeit verhalten. Das eigentliche Phänomen dieses Abends, der laut Wikipedia-Eintrag im Werkverzeichnis von Sabrina Zwach eigentlich "The scottish Play - auf keinen Fall Macbeth" heißen sollte, ist jedoch die gänzliche Abwesenheit von Blut. Wo sonst Köpfe rollen und Dolche triefen, werden hier blütenweiße Tücher zwischen sauberen Händen gerieben.
Man könnte das Ganze auch anämisch finden - wie die Sprachspiele mit "Duncan" und "Fleance", die Fritsch natürlich gnadenlos ausschlachtet. Am Ende aber wird der Wald von Birnam zur Yeti-Parade der Tarnuniformen, in der Macbeth und Macduff abhanden kommen, um in einen - pardon! - astreinen Fan-Chor einzustimmen: "Ihr könnt nach Hause geh'n!". Aber nicht auf den Teppich treten.
Nächste Vorstellungen: 27. und 28. Januar, jeweils 19.30 Uhr