Halle: Der Sitz des Widersachers Halle: Der Sitz des Widersachers: Kardinal Albrecht Luthers Intimfeind

Jenen schlüpfrigen Boulevardknüller, den die Nachwelt mit Kardinal Albrecht in Verbindung bringt, verdankt sie Martin Luther. „Hab ich’s doch auch nicht erticht, das er seine Huren lässt in Särgen, als Heiligtum mit Kerzen und Fahnen, in sein Hurhaus Moritzburg tragen.“ Der wortgewaltige Reformator ist sich nicht zu schade, diese und andere Bemerkungen zur „Hurerey“ in sein „hartes, scharfes Scheltbüchlin“ einzustreuen, das er 1539 „Wider den Bischof zu Magdeburg“ schleudert. Alle Register seiner Spottlust ziehend, erledigt er darin den Ruf des Kirchenfürsten ein für alle Mal.
Zur Karikatur geronnen, lebt diese klägliche Gestalt am halleschen „Göbelbrunnen“ weiter, während unweit am „Kühlen Brunnen“ hinter einem Bierlokal das Renaissancepalais von Hans Schenitz verdämmert, wo die Geschichte von Albrechts Prozess gegen seinen Kammerherrn zu erzählen wäre. Dessen Hinrichtung am Galgenberg am 21. Juni 1535 wegen angeblicher Veruntreuung erschütterte Anhänger wie Gegner des Kardinals, war es doch allzu offenkundig, dass dieser einen Ausweg aus dem drohenden Schuldenkollaps seiner überbordenden Hofhaltung suchte.
Albrechts Haltung zur Reformation
Der Skandal war Anlass für Luthers Philippika, die Albrecht in einem Schwall von Sarkasmen ertränkte. „Was soll man einem solchen Kardinal trauen, der Gottes Gebot alle so gar nichts achtet, und tut, als wäre er Gott selbst, und müsse alles rechts sein, was ihn lüstet?“, „Gott ist ein wenig klüger, gerechter und frömmer als ein solcher Römischer Priester in all seiner Klugheit.“, „Der Kardinal zu Mainz nimmt viel Tuchs zum Rock, aber er nehme so viel er will, es ragt doch ein Schalk unten und oben aus.“ Und so weiter. Doch warum nimmt sich Luther vier Jahre Zeit, um über den Kirchenherrn herzufallen, „welcher schon bei den Seinen greulich genug stinkt“, wie er nicht ganz zu Unrecht feststellt? Dazu muss man Albrechts Zickzackkurs studieren, den er gegenüber der Reformation verfolgt.
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Niemand hat das so fesselnd und nah an den Quellen geschildert wie der Marburger Historiker Wilhelm Ernst Winterhager. Dessen Aufsatz über Albrecht im Urteil seiner Zeitgenossen, veröffentlicht im Katalog der großen Albrecht-Ausstellung in der Moritzburg von 2006, liegt auch dieser Darstellung zugrunde. Hat doch diese Schau auf absehbare Zeit in ein verbindliches Licht gerückt, was über den kunstsinnigen Geist und Verehrer glanzvoller kirchlicher Rituale zu erfahren ist. Der diesen Glanz über seine hallesche Residenz ausgoss, seine Stiftskirche – den späteren Dom – mit einem gewaltigen Zyklus an Altarbildern ausstattete, und ein „Heiltum“ von Reliquien der Heiligen und Märtyrer hütete, wie es kein Wallfahrer an keiner anderen Stätte in solcher Fülle je gesehen hatte. Und der in diesen Zeugnissen einer stofflich erfahrbaren Religion wohl auch den Kern des Glaubens sehen wollte, und sich daher nicht davon lösen konnte, obwohl er offen war für den Ruf nach kirchlicher Reform, der in dieser Zeit überall zu hören war.
Steile Karriere
Albrecht aus dem Hause Hohenzollern und letzter von sieben Söhnen des Kurfürsten von Brandenburg, lebte von 1490 bis 1545, an der Schwelle zur Neuzeit, und war gerade 23 Jahre alt, als er zum Erzbischof von Mainz gewählt wurde, ein Jahr später auch zum Erzbischof von Magdeburg. Da war von Anbeginn das Raunen groß über die steile Karriere eines dazu nicht offenkundig prädestinierten Jünglings. Und noch weiter sollte er aufsteigen, zum Kardinal und damit zum kirchlichen Reichsfürsten. Dass er noch höher hinaus wollte, zum päpstlichen Legaten für das Reich, war ihm dann aber doch nicht vergönnt. Die Ämterhäufung verstieß gegen das Kirchenrecht. Der Papst segnete sie ab, allerdings auf Gegenleistung. Albrecht verpflichtete sich, den Petersablass zu vertreiben, zugunsten des Neubaus der Papstkirche. Doch bis es darüber zu Luthers Thesenanschlag kam, genoss der junge Kirchenfürst ein paar Jahre wohlwollender Neugier von den Humanisten. Nebst anderen holte er den wortmächtigen Ulrich von Hutten an seinen Hof. Der besang Albrecht gar als Schutzherrn der deutschen Kirche vor römischer Ausbeutung. Viel beklagte Missstände werde er beseitigen.
Die Humanisten waren es auch, Erasmus von Rotterdam eingeschlossen, die ihm bis zuletzt die Treue hielten. Sie taten es ungeachtet der Winkelzüge seiner Realpolitik, deren prägendes Kennzeichen die Konfliktscheu war, begleitet vom Festhalten an teurem äußeren Prunk. Die Domherren von Mainz und Magdeburg, die die Rechnung zu schultern hatten, waren ihm dagegen zeitlebens in inniger Feindschaft verbunden. Komplizierter war das Verhältnis zu den Reformatoren. Im Ablassstreit gab Albrecht schnell nach, reagierte auf Luthers ersten Brief, einer Ermahnung zu gottgefälligem Handeln, indem er Tetzel vor Übertreibungen warnte, für Luthers Argumente aber kein Verständnis aufbrachte.
Schaukelpolitik
Dennoch war es gerade der Wittenberger, der sich von Albrecht zumindest ein neutrales Verhalten erhoffte, ja ihn selbst als „Opfer Roms“ bezeichnete, „von falschen Ohrenbläsern verführet“, aber für Reformen aufgeschlossen. Darauf schien auch hinzuweisen, dass er den Erasmus-Vertrauten Wolfgang Capito zum Hofrat berief. In der Folge hielt auch Friedrich der Weise große Stücke auf Albrecht. Der ist es auch, der neben Luthers engen Kollegen und Freunden, den Reformator immer wieder zur Zurückhaltung gegenüber Albrecht drängt, obwohl der von dessen Schaukelpolitik zunehmend irritiert ist.
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Den dramatischsten Beleg dafür liefert Albrechts Verhalten 1521 beim Reichstag zu Worms. Hat seine Verweigerung der Unterschrift unter den Reichsbann zunächst dafür gesorgt, dass Luther gefahrlos anreisen konnte, so beschafft er andererseits eine Mehrheit für die Ächtung für den Fall, dass Luther den Widerruf verweigert. Ängstlich vor der öffentlichen Reaktion aber entzieht er sich der Unterschrift unter das Edikt.
Hochburg des alten Glaubens
Er überlässt sie dem Reichsvizekanzler und reist vor der Verkündigung ab. Das Edikt setzt er in seinen eigenen Landen nicht um. Andreas Karlstadt und Philipp Melanchthon machen sich in Wittenberg „lebhafte Hoffnungen“ auf Albrechts scheinbare Reformgesinnung. Aber Luthers Skepsis sollte sich durch das Stift bestätigen, das Albrecht in Halle erklärtermaßen als Hochburg des alten Glaubens errichtet. Auch auf dem Augsburger Reichstag 1530 verzieht sich Albrecht, bevor Beschlüsse gegen die Reformatoren gefasst werden. In Halle setzt Albrecht evangelische Ratsherren ab.
Die Hinrichtung von Schenitz bringt ihn endgültig um sein Ansehen. Luther kocht vor Wut. So lange aber Albrecht zum Schein Verhandlungen mit Schenitz’ Familie führt, lässt er sich vom publizistischen Schlag abhalten.
Erst als die Verhandlungen scheitern, hat Albrecht in Luthers Augen „ausgeheuchelt“. Mit seiner Schmähschrift kündigt er Albrecht den letzten Rest Wohlwollen auf, zwei Jahre später macht die Reformation Albrechts Residenz und Glaubensburg in Halle ein Ende, er flieht nach Mainz.