Kinder der Freiheit Halberstädter Gleimhaus widmet sich dem Kupferstecher Ludwig Buchhorn
Mit einer Ausstellung im Gleimhaus wird der Kupferstecher Ludwig Buchhorn wiederentdeckt- und mit ihm Bettlerbilder aus seinen Dessauer Jahren.

Halberstadt - Sensationell, und das ist nicht übertrieben. Das, was hier - im zweiten Raum der Buchhorn-Ausstellung im Halberstädter Gleimhaus - gezeigt wird, ist eine starke Überraschung: rund zwei Dutzend Bildnisse von Bettlerkindern, gefertigt in den Jahren zwischen 1794 und 1806, hauptsächlich aber vom Ende der 1790er Jahre an bis 1804 - jener Zeit, in der der Kupferstecher und Maler Ludwig Buchhorn (1770-1856) in Dessau arbeitete und lebte, beschäftigt als Mitarbeiter der 1796 gegründeten fürstlichen Chalkographischen Gesellschaft, einem zum Vertrieb qualitätvoller Druckgrafik betriebenen Unternehmen.
Vor allem in den Dessauer Jahren entstanden die jetzt gezeigten Bildnisse von Kindern, hergestellt hauptsächlich als Drucke in Aquatinta oder Crayonmanier. Dass hier Dessauer Kinder zu sehen sind, ist nicht einfach zu behaupten, aber durchaus wahrscheinlich. Dass die Residenzstadt - wie viele andere mitteldeutsche Regionen - nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges und im Zuge einiger Hunger- und Flutjahre danach ein handfestes Armutsproblem hatte, ist bekannt. Bei Buchhorn wird es jetzt augenfällig.
Buchhorn zeichnete mit Sympathie
Der aus Halberstadt stammende, von Gleim geförderte und in Berlin ausgebildete Grafiker zeigt nicht das arme Alter, sondern die arme Kindheit, womit er sich bereits von der althergebrachten künstlerischen Darstellung von Bettlern absetzt. Sein Interesse gilt der vermeintlichen Freiheit, die er im Milieu der Armut zu entdecken meint. Die Kinder der Not zeigt er als Kinder der Freiheit. „Ein freyes Leben führen wir“, ist die früheste Folge von Bettlerkinder-Bildern überschrieben - ein Zitat aus Schillers Schauspiel „Die Räuber“, das sich fortsetzt: „Ein Leben voller Wonne; Der Wald ist unser Nachtquartier...“.
Buchhorn zeichnet also mit Sympathie: Eine dem kulturrevolutionären Zeitgeist der 1770er Jahre folgende Romantisierung, die in diesem Fall aber trotzdem nicht in Kitsch umschlägt. Das Interesse des Künstlers weidet sich keinesfalls an den malerisch reizvollen Lumpen, sondern er zeigt selbstbewusste, auch selbstvergessene Kinder - etwa das an einem Gewässer stehende Mädchen -, gezeichnet aus einem Blickwinkel, der die Figur geradezu „monumentalisiert“, wie die Kunstwissenschaftlerin Iris Bernd feststellt, der die Wiederentdeckung Buchhorns zu verdanken ist - und die jetzt unter dem Titel „ein rühmlich bekannter Kupferstecher“ in drei Räumen präsentierte Ausstellung.
„Total qualitätvolles Werk“
Eine Wiederentdeckung, in der Tat. Iris Berndt gelangte über die Harzmalerei zu Buchhorn und entdeckte, je mehr sie über den Künstler zu erfahren suchte, ein „total qualitätvolles Werk“, wie sie sagt, voller „Überraschungen“. Ein Werk, das in Halberstadt begann, sich in Dessau fortsetzte, um nach 1806 in Berlin erst auf eine Professur für Kupferstichkunst an der Kunstakademie, dann auf das Direktorat der Kupferstecherschule zuzulaufen. Ein aufs Ganze gesehen erfolgreiches Berufsleben, das aber Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem öffentlichen Blick geriet. So wie der Kupferstich, von dem Buchhorn herkam. Gründlich veraltet, hieß es.
Ein Fehlurteil in mehrfacher Hinsicht, zeigt die Schau. Denn Buchhorn war weder ausschließlich ein Kupferstecher, sondern ein Meister vieler Klassen. Sogar die Ölmalerei beherrschte er, wie ein von ihm gefertigtes Porträt seines Freundes Schadow zeigt, eines von 40, heute nur noch schriftlich nachweisbaren Gemälden. Und vergessen ist tatsächlich - bis auf Halberstadt, wo es eine Buchhorn-Straße gibt - nur der Name Buchhorn, denn die Schau zeigt viele Arbeiten, die „ikonisch“, also populär sind, aber ihr Urheber eben vergessen ist: darunter gestochene Porträts der Dichterin Karsch, des Pädagogen Niemeyer, des Volksdichters Hiller oder des Dessauer Fürsten Franz.
Mit dem allgemeinen Aufschwung des Buchgewerbes nach 1760 kam Buchhorn ins Geschäft. Dass er Jahrzehnte später aus der breiten Erinnerung herausfiel, resultiert wohl aus dem Umstand, dass er wenig repräsentativ-herrschaftlich arbeitete, obwohl er auch das beherrschte. Großartig gelingt die Übertragung von Angelika Kauffmanns Gemälde „Amor und Psyche“ in Kupfer, einst ein Bild aus dem Besitz der Dessauer Fürstin.
Überraschende Buchhorn-Schau in Halberstadt
Es ist eine - wie in den winzigen historischen Gleimhaus-Räumlichkeiten üblich - kleinteilige, dabei durchweg überraschende Schau. Auch deshalb, weil sie sinnfällig einlädt, die Drucktechniken um 1800 zu studieren. Ein jedes Verfahren wird erklärt, Lupen liegen aus, um die Machart der Bilder zu studieren, der Arbeitsplatz eines Kupferstechers ist nachgestellt. Die Kupferplatte liegt hier auf einem runden Lederkissen, um gegen das Werkzeug gedreht werden zu können.
Wie wird es weitergehen? Iris Berndt arbeitet an einer fortlaufenden Werkliste. Der von ihr herausgegebene Katalog ist ein erster starker Aufschlag, um das Buchhorn-Werk in den Blick zu nehmen. Dabei wären die Bettler-Bilder - einmal vollständig präsentiert - eine eigene Ausstellung wert: in Dessau, in Berlin oder anderswo. Jetzt aber und noch bis Anfang August in Halberstadt, wo Ludwig Buchhorn herkam und von wo aus er wohl ein zweites Mal entdeckt werden wird. (mz)
Ausstellung im Gleimhaus Halberstadt, Domplatz 31: bis 8. August, Die-So 10-16 Uhr. Katalog, herausgegeben von Iris Berndt, im Mitteldeutschen Verlag, 176 Seiten, mit vielen Abb., 25 Euro