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Günter Wallraff Günter Wallraff: «In Callcentern werden Leute zu Betrügern ausgebildet»

24.05.2007, 15:27

Köln/dpa. - Die Zuständefordern es», sagte der Schriftsteller (64) in einem Gespräch mit derDeutschen Presse-Agentur dpa am Donnerstag in Köln. Wallraff istinternational vor allem mit seinem Buch «Ganz Unten» (1985) bekanntgeworden, für das er sich in Betrieben als türkischer LeiharbeiterAli ausgab, um später die dortigen Arbeitsbedingungen anzuprangern.«Es gibt Themen wie Billiglohn oder betrügerische Machenschaften vonCallcentern, wo ich gebraucht werde.»

Für seine jüngste Enthüllung habe er unter falscher Identität alsBewerber in einem Kölner Callcenter angeheuert. «In der Brancheherrschen Zustände, die man sichtbar machen muss», meinte Wallraff.Für die Rolle habe ihn ein Maskenbildner um 15 Jahre verjüngt. Alsvermeintlicher Hans Esser hatte er einst auch die «Bild»-Zeitungunter die Lupe genommen - und dies in «Der Aufmacher» (1977)geschildert.

«In den Callcentern, die sich ausbreiten wie eine Seuche, werdenLeute zu Betrügern ausgebildet», kritisierte der Schriftsteller.Äußerlich kämen die inzwischen mehr als 5500 Callcenter inDeutschland meist seriös daher, aber: «Es wird sehr stark überTelefondrücker gearbeitet, den Leuten werden Dinge angedreht, diesich nicht brauchen oder die ihnen schaden.» Beispiele seienAbonnements, Versicherungsverträge oder Lottolose, die inbelästigender Weise und zu überteuerten Preisen am Telefonfeilgeboten würden.

Seine erste Enthüllungsreportage, die am Donnerstag im neuen«Zeitmagazin Leben» der Wochenzeitung «Die Zeit» erschien, sei erstder Anfang, sagte der Autor, der für seine Enthüllungsreportagen auchin gefährliche Rollen geschlüpft war, dabei sogar Folter undmonatelange Haft in Kauf genommen hatte. «Es wird wieder harte Arbeitund auch Selbstverleugnung werden», sagte Wallraff. «Aber nachgesundheitlichen Problemen habe ich wieder viel Kraft und einenlangen Atem und werde ausgiebig und im ganzen Land unterwegs sein, inEinzelfällen auch über die Landesgrenzen hinaus.»

Geplant sind Wallraff zufolge mehrere enthüllende Reports, die im«Zeitmagazin Leben» in lockerer Folge erscheinen sollen. «DieSammlungen werden dann in ein Buch einfließen, der Arbeitstitel ist"In der schönen neuen Arbeitswelt"». Auch beim Thema Billiglöhne undAbbau von sozialen Rechten wolle er den Finger in die Wunde legen,kündigte der Autor an. «Ich wünsche mir sogar, dass es wie bei meinenfrüheren Reportagen zum Prozess kommt, denn dann würde ich meineBeweise vor den Gerichten als Prüfinstanz vorlegen.» Er wollemöglichst viel öffentliches Interesse für die gesellschaftlichenMissstände erzeugen.

Zuletzt hatte Wallraff in Japan Mitte der 90er Jahre in der Rolleeines angeblichen iranischen Fremdarbeiters über deren schwierigeLebens- und Arbeitsbedingungen in dem asiatischen Land berichtet.