Gottfried Semper Gottfried Semper: Von Barrikaden und Palästen
Dresden/MZ. - Ein Meister der großen steinernen Gesten war er zeitlebens, von seinem spontansten und pathetischsten Bauwerk aber sind weder Entwürfe noch Abbildungen überliefert: Die Barrikade an der Wilsdorfer Straße in Dresden, die der Baumeister Gottfried Semper in den ersten Maitagen des Jahres 1849 bis zur "Uneinnehmbarkeit" verstärkt haben soll, konnte den Sieg der Regierungstruppen über die sächsischen Revolutionäre zwar nur verzögern. Den republikanisch gesinnten Architekten aber, der heute vor 200 Jahren geboren wurde, warf dieser Eingriff in die Zeitgeschichte auf lange Zeit aus seiner Lebensbahn.
Dabei schien sein Engagement im Vaterländischen Verein und in der Scharfschützenkompanie nur konsequent: Semper, der 1803 in eine reiche Hamburger Wollhändlerfamilie hineingeboren wurde, hatte sich früh für die architektonische Verfassung der Antike begeistert und intensive Studienreisen nach Italien und Griechenland unternommen. Dass er der klassizistischen Kühle des aktuellen Geschmacks aber seine kraftstrotzende Neo-Renaissance entgegensetzte, prädestinierte ihn auch zum Bühnenbildner des Hochadels.
In der sächsischen Residenz Dresden hatte Semper 1834 mit seiner ersten Wirkungsstätte auch das passende Terrain gefunden. Als Professor der Kunstakademie durfte er nicht nur das Hoftheater, sondern auch die Gemäldegalerie am Zwinger entwerfen - und damit eine souveräne Antwort auf die angrenzenden Barock-Bauten liefern. Mit diesen Referenzen schien seine Karriere vorgezeichnet, zumal er auch als Publizist sowie als Gutachter bei städtebaulichen Projekten überregionalen Ruf genoss.
Dass Semper nach seinem revolutionären Engagement dennoch zum "Haupträdelsführer" erklärt und - wie Richard Wagner - ohne Pardon verfolgt wurde, trug in der Konsequenz zur Ausbreitung seines Stils und seiner Theorien bei. Auf einem Umweg über London und Zürich, wo er am berühmten Polytechnikum lehrte, wurde er schließlich zum Gestalter der neuen Hofburg sowie des dazugehörigen Theaters in Wien berufen - und manifestierte so abermals eine zentralistische Macht, die seinen Forums-Visionen eigentlich widersprach.
Seine triumphale Rehabilitierung in Dresden konnte Semper nur noch aus der Ferne miterleben: Als der von ihm entworfene Opern-Neubau an der Stelle des abgebrannten Hoftheaters 1878 vollendet wurde, war ihm die Anreise von seinem italienischen Alterssitz schon zu beschwerlich. Am 15. Mai des Folgejahres starb er in Rom.
Neben seinen im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten und inzwischen sorgfältig rekonstruierten Hauptwerken in Dresden und Wien aber bleibt von diesem späten Renaissance-Mensch, der technisch ebenso wie gestalterisch begabt war, die folgenreiche Unterscheidung zwischen "Konstruktion" und "Bekleidung" von Bauwerken. Denn dieser Ansatz verweist die Architekten auf ihre Wurzeln im Handwerk - und erlaubt ihnen die Entfaltung als Künstler.