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Gieriger Genosse Gieriger Genosse: Stasi-Offizier als größter Wirtschaftsverbrecher in der DDR

05.07.2017, 13:13
Fahneneid der Angehörigen des MfS
Fahneneid der Angehörigen des MfS imago stock&people

Berlin - Rund 84 Kilogramm Gold, Brillanten, Silbermünzen, 1,6 Millionen D-Mark, 2,2 Millionen DDR-Mark, Teppiche, Schmuck - ein Teil davon zufällig entdeckt in einer konspirativen Wohnung in Ost-Berlin. Stasi-Minister Erich Mielke soll es die Sprache verschlagen haben, als er den geheimen Bericht im Februar 1981 über die Funde auf den Tisch bekam.

Autor Klaus Behling bekam Tipp zu diesem abenteuerlichen Fall

„Das war das größte Wirtschaftsverbrechen in der DDR - begangen von einem Stasi-Offizier und seiner Geliebten“, sagt Autor Klaus Behling. Zusammen mit Jan Eik hat er jetzt ein Buch mit dem Titel „Attentat auf Honecker und andere besondere Vorkommnisse“ herausgebracht. Die Geschichte des gierigen Stasi-Mannes ist eine von acht.

Behling war früher DDR-Diplomat in Kambodscha und nach 1989 Journalist. Er habe einen Tipp zu diesem abenteuerlichen Fall bekommen und dann in Unterlagen bei der Stasi-Unterlagen-Behörde recherchiert, berichtet der 68-Jährige.

Stefan Wolle vom Berliner DDR-Museum: Das sei doch unglaublich bei der sonst so peniblen Stasi

Er beschreibt, wie der Stasi-Mann in großem Stil über Jahre in die eigene Tasche wirtschaftete, ohne dass es auffiel. „Es gibt immer noch Sachen, die erstaunen“, sagt Behling, der schon andere Bücher über die DDR geschrieben hat. Auch Historiker Stefan Wolle vom Berliner DDR-Museum wundert sich: Das sei doch unglaublich bei der sonst so peniblen Stasi, bei der jeder Blumenstrauß (für Stasi-IM) abgerechnet worden sei.

Der Oberstleutnant im Ministerium für Staatssicherheit (MfS), der auch Finanzökonom war, habe mit Wissen der Stasi die Scheinfirma „Industrievertretung“ hochgezogen, Embargo-Güter importiert und davon kräftig profitiert, sagt der Autor. „Der hat sich daran erfreut, Geld und das Gefühl zu haben, das er machen kann, was er will“, so das Fazit von Behling nach der Durchsicht von Verhörprotokollen. Er zitiert in dem Buch aus dem Lebenslauf des selbstverliebten Funktionärs: „Ich habe Agenten liquidiert und Feinde enttarnt.“

Die internen Stasi-Ermittler mussten in ihrem Bericht kleinlaut eingestehen, dass die Manipulationen schon Ende 1961/Anfang 62 begonnen hatten - mit der Aktion „Licht“. Bei der Suche nach harten Devisen sei die damalige DDR-Führung unter Walter Ulbricht auf die Idee verfallen, mehr als 21 000 Bankschließfächer zu kontrollieren, die seit Kriegsende nicht mehr geöffnet worden waren.

Korruption bei der Stasi: Von West-Firmen Provisionen bezogen

In der Folge wurde „herrenloses Gut“ in den Westen verscherbelt, darunter Antiquitäten, Gemälde, Edelsteine, wie es im Buch heißt. An der Aktion sei auch der umtriebige Stasi-Mann beteiligt gewesen. Von den Erlösen habe er unkontrollierte „Rücklagen“ gebunkert und zudem von West-Firmen Provisionen bezogen. Eine treue Stasi-Mitarbeiterin assistierte dem Geschäftemacher.

Der „Sonderoffizier“ mit Westkontakten beschaffte schon mal Geldtransporter für die DDR-Staatsbank oder Kopiermaschinen. Anfangs habe er Gewinne in bar im Finanzministerium abgeliefert, dann einfach nicht mehr. Das abgezweigte Geld habe er in wertbeständiges Gold umgetauscht, hat Behling rekonstruiert.

Stasi-Offizier: Alleinherrscher über eine unkontrollierte, streng geheime Firma

Alles sei wie geschmiert gelaufen - auch weil der selbst ernannte Chef der Tarnfirma „die eine oder andere Besorgung von ein paar Westwaren für ausgesuchte Genossen“ im Blick hatte. Er habe auch begehrte Wohnungen und Autos organisiert und dafür kassiert. „Kriminelle Energie war für ihn Bestandteil seiner Macht. Und die Stasi hatte ihm freie Hand gelassen“, schreibt Behling. Der Mann sei immer mehr zum Alleinherrscher über eine unkontrollierte, streng geheime Firma geworden, die im Handelsregister nicht existierte.

Als die Stasi-Abteilung Kommerzielle Koordinierung von Alexander Schalck-Golodkowski im Ost-West-Geschäft immer wichtiger wurde, sollte die andere Firma aufgelöst und ihr Vermögen an den Staatshaushalt abgeführt werden. Doch wieviel war es?

Es sei ein peinlicher Offenbarungseid für das MfS gewesen, als es erkennt, dass über Jahre Millionenbeträge aus seiner Verfügung verschwanden, schreibt Behling. Doch letztlich sei das konfiszierte Diebesgut zu einem warmen Regen für das Stasi-Ministerium geworden. Der reuelose Stasi-Mann wurde in einem geheimen Prozess zu 15 Jahren verurteilt und starb 1983 im Gefängnis an einer schweren Krankheit.

Gerüchte um einen vermeintlichen Anschlag auf DDR-Chef Erich Honecker

Mitautor Jan Eik nimmt sich in dem Buch auch nochmal der Gerüchte um einen vermeintlichen Anschlag auf DDR-Chef Erich Honecker am Silvestertag 1982 an. Zum Jahresausklang habe der erste Mann im Staate seinem liebsten Hobby, der Jagd, frönen wollen und sich von Wandlitz aus in die Schorfheide kutschieren lassen, schreibt Eik, der auch Akten der DDR-Militärstaatsanwaltschaft einsah.

Als die Kolonne den kleinen Ort Klosterfelde passierte, geschah das Unerwartete: Ein Handwerksmeister aus dem Ort brauste mit seinem grünen Lada heran. Er wurde von einem Sicherungsfahrzeug gestoppt. Als sich ein Stasi-Mann näherte, zog der Autofahrer eine Pistole und schoss - zuerst auf den Uniformierten, der später verletzt in eine Klinik kam. Dann richtete der 42-Jährige die Waffe gegen seinen Kopf und tötete sich. Die Limousine mit Honecker war schon vorbeigebraust.

Die Stasi habe versucht, den Fall zu vertuschen, so der 76-jährige Autor. Der oft betrunkene Schütze habe „Kaminfreunde“ beim MfS gehabt, hat Eik recherchiert. So habe ein Offizier dem Waffennarr gegen Westgeld zwei Luftdruckpistolen besorgt.

Laut Jaron Verlag (Berlin) haben die beiden Autoren erstmals vor zehn Jahren ein Buch über geheimnisvolle DDR-Begebenheiten vorgelegt. Nun hätten sie ihren Fundus mysteriöser Fälle erweitert und aktualisiert. Es sei ein Geschichtsbuch der besonderen Art, so der Verlag. (dpa)