1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Gemälde: Gemälde: Kunst zeigt selten Zähne

Gemälde Gemälde: Kunst zeigt selten Zähne

Von MARLENE KÖHLER 24.09.2010, 16:02

Halle/MZ. - Waren die Zähne der Menschen früher so schlecht, dass es die Maler schreckte, diese auf Gemälden abzubilden? Nur fünf bis zehn Prozent der Bilder zeigen Zähne, hat Jürgen Setz, Professor für Zahnersatzkunde am Universitätsklinikum Halle, bei seinen zahlreichen Museumsbesuchen in der ganzen Welt festgestellt. Besonders auffällig: Auf klassischen Porträts, wie zum Beispiel der "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci, dem Vaterbildnis von Albrecht Dürer oder dem Dogen-Porträt von Giovanni Bellini, blitzen niemals Zähne auf.

Das interessierte den passionierten Ausstellungsgänger, der schon von Kind an mit Kunst aufgewachsen ist, und er fragte sich, warum das so ist.

Seine erste Vermutung, die Künstler hätten technische Probleme der Darstellung gehabt, widerlegte er rasch selbst. Wer feinste Stofffasern fast dreidimensional darstellen kann wie Bellini 1501 auf dem Gewand des Dogen Leonardo Loredan, der bekommt auch Zähne hin. Zweite Vermutung: Verfügten die Porträtierten nur über Restzahnbestände, die man besser nicht zeigt? Das kommt der Sache wohl schon näher, denn von vielen Prominenten früherer Jahrhunderte weiß man, dass sie zahnlos waren, Sonnenkönig Ludwig XIV. zum Beispiel oder der amerikanische Präsident George Washington. Die Königin Elisabeth I. von England hatte schwarze Zähne.

Dabei gibt es schon seit dem Altertum Zahnmedizin, wie archäologische Funde von bearbeiteten Zähnen zeigen. Und auch das Zähneputzen ist schon lange vor der Erfindung vonBürste und Zahnpasta bekannt, wurde früher mit Pflanzen und Zahnhölzern betrieben. Trotzdem, über Jahrhunderte galt Zähne zeigendes Lachen als unschicklich, hat Jürgen Setz herausgefunden, feine Leute taten so etwas nicht. Gleichzeitig entdeckte der hallesche Professor auf Bildern von nicht so berühmten Leuten mitunter Zahnlücken-Bereiche oder einzelne Zähne. "Sie sollten das Einfache charakterisieren", glaubt der Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Halle-Wittenberg, und zeigt Beispiele von Musikanten, Huren, Tänzerinnen, Kranken, Alten, Menschen am Rande der Gesellschaft; auch Kinder und Tiere durften Zähne zeigen. Ab dem 13. Jahrhundert gibt es Zahndarstellungen in der abendländischen Kultur, und fast immer sind sie negativ belegt. Ein frühes Beispiel ist das Fürstenportal des Bamberger Doms, das eine Darstellung des Jüngsten Gerichts zeigt. Vom Betrachter aus links sind die Erlösten ohne Zähne dargestellt: sie zeigen ein seliges Lächeln halten dabei aber den Mund geschlossen. Die Verdammten auf der rechten Seite dagegen öffnen die Lippen und entblößen ihre Zähne.

Als "Zahnspezialisten der Kunst" schlechthin hat Setz den holländischen Maler Frans Hals ausgemacht. Auf hunderten Gemälden hat er die unterschiedlichen gesellschaftlichen Stände porträtiert, "Der Mulatte" von 1627 (Museum der Bildenden Künste, Leipzig) und das "Porträt einer unbekannten Dame" von 1633 (National Gallery of Art, Washington) stehen als Beispiele dafür.

Das seriöse Porträt einer Dame der Harleemer Gesellschaft zeigt im Gegensatz zum Narren keine Zähne. Auf vielen Bildern setzten Maler Zähne als Stilmittel für Schmerz und Tod ein. Hierfür gibt es Beispiele bei Jusepe de Ribera aber auch Pablo Picasso verwendet in seinem berühmten Guernica Bild Zähne.

Als Jürgen Setz die Erkenntnisse aus seinem Hobby unlängst auf Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dentale Technologie e.V. (ADT) - deren Vorsitzender Setz seit vergangenem Jahr ist - vortrug, staunten rund 2 000 Zahnärzte, Zahntechniker und Zahnforscher über seine Erkenntnisse und fühlte sich von ihrem Chef zudem bestens unterhalten.

Von der Malerei schlägt der gebürtige Duisburger, der über Düsseldorf, Tübingen und London 1998 nach Halle kam, in seiner Arbeit eine Brücke zur Fotografie. Hier ist ihm aufgefallen, dass die deutschen Bundespräsidenten von Theodor Heuss bis Johannes Rau allesamt auf den Amtsstubenbildern keine Zähne zeigen. Sollte durch Ernst Autorität geschaffen werden?

Der erste, der das Ritual durchbrach, war Horst Köhler, der ein leichtes Lächeln zeigt. Was das zu bedeuten hat, weiß Professor Setz noch nicht. Bisher sei alles nur ein Hobby, sagt er, jetzt will er weiter in den Galerien von London, Paris, Florenz, Madrid, Wien oder München überprüfen, ob seine Gedanken stimmen. Vieles gäbe es da noch zu untersuchen, beispielsweise "Zähne im Film". Die Wahrscheinlichkeit, hier Zähne zu sehen, ist ungleich höher als in der Malerei. Marilyn Monroe sieht man so gut wie nie mit geschlossenem Mund, selbst auf Fotografien und Bildern nicht. Auch Julia Roberts, Nicole Kidman und Claudia Schiffer haben meistens Biss.

Wer nun denkt, dass die schönen Frauen makellose Zahnreihen präsentieren, irrt aber. Kleine Abweichungen vom Idealbild würde es geben, doch die erst machten den Menschen interessant. "Nichts ist langweiliger als das Ideal", sagt der Professor, lacht und schreitet zu seinen Studenten, um ihnen zu zeigen, wie man Zahnprothesen macht.