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Fritz Cremer Fritz Cremer: Passion der Liebe und Politik

Von CHRISTIAN EGER 15.09.2009, 17:42

LEIPZIG/MZ. - Dabei könnte sich die Gefahr des Vergessens aus denselben Gründen nähren, die dieses Werk so reizvoll machen: Fritz Cremer, 1906 im Ruhrgebiet geboren und 1993 in Ostberlin gestorben, war ein entschieden politischer Künstler. Aber der Kommunist Cremer war kein Diktaturbeschöniger, kein Vollzugsbeamter einer Parteikunst; in die Ecke der DDR-frommen Bet- und Radaubrüder gehörte Cremer nie, ganz im Gegenteil.

Fritz Cremers Antifaschismus, der in großen Skulpturengruppen seine Gestalt fand, war nicht doktrinärer Art. Keiner, der in einen guten oder schlechten Widerstand sortierte, wie das bis heute immer wieder üblich ist: hier der aristokratisch-soldatische, dort der kommunistische und irgendwo der sozialdemokratische Widerstand.

Kunst, nicht Propaganda

Die Figuren, die Cremer für die KZ-Gedenkstätten in Buchenwald, Mauthausen und Ravensbrück schuf, sind gesamtgesellschaftliche Passionswerke: Ausdruck einer erhellenden, nicht triumphierenden, schon gar nicht selektierenden Trauer. Ein von Cremer Mitte der 80er Jahre hergestellter Grafikzyklus in Sachen Widerstand heißt "Für Mutter Coppi und die Anderen. Alle!" Dieses "Alle!" macht den Unterschied; es scheidet die Kunst von der Propaganda.

Wer also meint, in der DDR zu viel von Cremer gesehen zu haben, der sollte doch noch einmal genau hinschauen. Diese Möglichkeit bietet die Galerie Schwind in Leipzig, die im Auftrag der Cremer-Erben den Nachlass des Künstlers betreut. Die Ausstellung bietet neben 40 Bronzearbeiten zahlreiche Zeichnungen und einzelne druckgrafische Blätter, Arbeiten aus allen Schaffensphasen Cremers.

Es wird augenfällig, dass dieses Schaffen vom Anfang der 30er Jahre an bis in die 90er Jahre hinein sozusagen aus einem Guss war. Das hatte auch biografische Gründe: Im Gegensatz zu vielen seiner Freunde überstand der Bildhauer den NS-Staat äußerlich unbehelligt, sogar mit öffentlichem Erfolg. Der Handwerkersohn Cremer, der 1926 Mitglied der Kommunistischen Arbeiterjugend wurde, war von 1934 bis 1938 Meisterschüler an der Preußischen Akademie der Künste. 1937 erhielt er den Preußischen Staatspreis, 1938 ein Meisteratelier am Pariser Platz in Berlin, 1942 das Aufenthaltsstipendium für die Villa Massimo in Rom, für das er zwei Jahre vom Kriegsdienst befreit wurde. Ist Cremer, wie oft zu lesen ist, tatsächlich Mitglied der KPD gewesen - oder allein von deren Jugendbewegung? Oder war das eine etwa mit dem anderen identisch? Manches wüsste man gern genauer. Eine Cremer-Biografie wäre ein lohnendes Projekt.

Es war aber kein ungefährliches Leben, das Cremer führte; seine Lebensgefährtin zum Beispiel, die Tänzerin Hanna Berger (1910-1962), unterhielt Kontakte zur Widerstandsgruppe "Rote Kapelle", was auch Cremer Verhöre eintrug. In Leipzig sind der Künstler und seine Gefährtin als Bronzeköpfe zu sehen: Da ist das "Selbstbildnis als Sterbender Soldat" von 1937 und das "Porträt der Tänzerin Hanna Berger" von 1935. Der Berger-Kopf ist von anrührender Schönheit, das schwere Material graziös gestaltet. Der Titel des Cremer-Selbstporträts gibt Rätsel auf: Sterbender Soldat? Offenbar ein Vorzeigewerk, das auf keine politische Aussage festzulegen ist; trotzdem fällt es nicht aus dem Werkrahmen. Ein leicht abstrahierter, symbolisch aufgeladener Realismus zeigt sich hier, den man von Kollwitz und Barlach kennt. Interessant sind die Bronzen aus den Jahren vor 1945: die Figur der Tänzerin Marianne Vogelsang (1937), die "Arbeiterfrau" (1938), das "Römische Mädchen" (1942), letzteres eine Aktfigur, offenbar in der Villa Massimo entstanden. Erstaunlich an den Werken der DDR-Jahre sind neben den bekannten Gekreuzigten und Aufsteigenden die Figuren, die Liebende zeigen, auch hier eine Passion. Die Verteidigung der Innen- gegen die Außenwelt, das wäre eine Cremer-Formel. In sich verschlungen und kontemplativ: vom Selbstporträt als Soldat an bis zu den politischen Passionsbildern.

Marx als Bronze-Schnäppchen

Sämtliche ausgestellte Arbeiten sind käuflich: Die Preise für die Bronzen bewegen sich zwischen 4 000 und 40 000, die für die Zeichnungen zwischen 1 100 bis 1 400 Euro; als 900-Euro-Schnäppchen werden die Köpfe von Marx und Engels in der Höhe von zwölf Zentimetern angeboten, die freilich für wenig mehr als Briefbeschwerer taugen. Instruktiv und vornehm gestaltet ist der Katalog, der auch die Stasiakte Cremers zeigt. "Will mit soz. Realismus nicht zu tun haben, da er ein Unglück f. d. Kultur" sei, ist maschinenschriftlich zu lesen. Und: Cremer zeige "anarchist. Züge im Verhalten". Bis heute: Ein Künstler, der nicht abzuhaken ist.

Leipzig, Springerstraße 5: bis 30. Oktober, Di-Fr 10-18, Sa 10-14 Uhr