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Foto-Buch "Voll der Osten" Foto-Buch "Voll der Osten": Zwischen Lebenslust- und Frust - der Alltag in der DDR

Von Andreas Montag 13.05.2018, 15:35
Prenzlauer Berg, Berlin, 1985
Prenzlauer Berg, Berlin, 1985 Harald Hauswald/OSTKREUZ

Berlin/Halle (Saale) - Nein, der DDR muss man keine Träne nachweinen. Die Menschen aber, die dort lebten und zu denen wir älter gewordenen Ostdeutschen als Jüngere selbst gehörten, haben Aufmerksamkeit verdient. Weil es auch um das eigene Gewordensein geht. Und das Verständnis für die biografische Kartierung eines versunkenen Landes.

„Voll der Osten“ erzählt von Lebenslust und Alttagstristesse in der DDR

Von alledem, von Zwängen, Alltagstristesse - aber auch von Lebenslust und der Feier des eigenen Seins erzählen der Fotograf Harald Hauswald und der Historiker Stefan Wolle in ihrem Buch „Voll der Osten“ (bei Amazon bestellen), das jetzt im Berliner Jaron-Verlag erschienen ist. Zugleich kann man die gleichnamige Ausstellung buchen, die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur und der Fotografenagentur Ostkreuz angeboten wird.

Das Textmaterial liegt in Deutsch und Englisch vor, so dass auch Fremde das Tor in die ostdeutsche Vergangenheit öffnen können. Dazu verfügt der Bildband über QR-Codes, die zu Interviews mit Harald Hauswald führen, der darin Auskunft zur Entstehung seiner Fotos gibt. Sie zeigen Alltagsszenen, die es kaum in das Propaganda-Selbstbild der offiziellen DDR geschafft hätten. Aber das war auch nicht die Absicht des Zeugen mit der Kamera.

Hauswald hat in den 1980er Jahren Ostberlin und die DDR wie ein Flaneur durchstreift, in eigenem Auftrag. Geblieben sind zahlreiche, teils inzwischen berühmte Bilder aus dem heute unbekannten Land, in dem der Staat den Bürgern die Freiheit zumaß wie man wohl Brotscheiben in Hungerzeiten rationiert.

In privaten Nischen - die Wesenszüge des Lebens in der DDR

Viele Menschen wehrten sich auf ihre Weise dagegen: Sie schenkten ihren Freunden Vertrauen und Freundlichkeit. Auch feierten sie die Lebenslust in privaten Nischen. Die waren obrigkeitsstaatlicher Kontrolle weitgehend entzogen, wenn auch nicht gänzlich aus dem Blick der Staatssicherheit, wie man später in der gruseligen Aktenprosa des Mielke-Ministeriums nachlesen konnte. Da hat sich mancher im Nachhinein erschreckt, wie weit der Arm der finsteren Genossen gereicht hatte. Bis in die Runde der Nächsten sogar.

„Wo Lüge, Stumpfsinn und Unfreiheit regieren, ist die Zuwendung zum anderen vielleicht kein Widerstand - doch ein lebenswerter Freiraum zur Macht“, hat Stefan Wolle ein Foto Hauswalds kommentiert, das eine nackte junge Frau mit ihrem Baby zeigt. Tatsächlich ist der Rückzug auf das Verlässliche, das Private ein Wesenszug des Lebens im Osten gewesen. Wobei das Private durchaus auch Hausgemeinschaften und Gartennachbarschaften einschließen konnte. Und Punkbands, die sich dem sozialistischen Allerlei-Mainstream verweigerten, spielten dem aufmüpfigen Teil der DDR-Jugend den Rhythmus dazu.

Harald Hauswalds Bilder sind eine wortlos kommentierende Chronik des alltäglichen Seins in einer Gesellschaft, deren selbst ernannte Elite, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), den Anspruch erhob, den Weg zum Glück zu kennen und verordnen zu dürfen.

Zittrige Greisenstimmen

Ein Hohn, wenn man an das Bonzen-Ghetto in Wandlitz denkt, wo die Honeckers und Mielkes hinter Betonmauern hockten, um sich vor ihrem Volk zu schützen. Und wenn es öffentlich etwas zu feiern gab für sie, sangen die alten Männer mit ihren zittrigen Greisenstimmen, sie seien die junge Garde des Proletariats.

„Unsere Menschen“, von denen die Funktionäre besitzergreifend sprachen, nahmen sich indessen, was sie bekommen konnten. Nicht nur im buchstäblichen Sinne - beim „Abzweigen“ in der Volkswirtschaft. Bilder von rührend anmutenden Tanzabenden, Blues-Messen, Partys im Hinterhof-Schick am Prenzlauer Berg belegen eine andere Wirklichkeit, die wie ein Parallelfilm neben der Parteipropaganda existierte.

Eines der schönsten Fotos in dem Band ist 1987 bei einem Volksfest in Berlin-Pankow aufgenommen: „Frieden ist nicht Sein - sondern Tun“ steht hochtrabend auf einem Banner und soll die Politik der SED feiern. Wer etwas gegen die Militarisierung des ostdeutschen Staates sagte, riskierte allerdings Knast. Und unter dem Spruchband sitzt eine Reihe einfacher Menschen friedlich und still nebeneinander: Das wahre Gesicht der DDR. (mz)

Fest an der Panke, Berlin-Pankow, 1987
Fest an der Panke, Berlin-Pankow, 1987
Harald Hauswald/OSTKREUZ