Filmdreh Filmdreh: Bei Hexen und Werwölfen
Halle/MZ. - Eine weiß geschminkte Gestalt lehnt am Fenster, eine junge Dame im Reifrock steigt die Treppe zur Galerie hinauf, eine monstergleiche Hexe mit schrumpliger Haut liegt im Bett. Überall Kameras, Kabel, Scheinwerfer. Die Masken- und Kostümbildnerinnen bahnen sich einen Weg hindurch. In einem Hinterzimmer bereitet ein junger Mann Effekte vor. Dann geht es los. Auf einem Jagdschloss im thüringischen Hummelshain, etwa 20 Kilometer westlich vom Hermsdorfer Kreuz, wird die erste Independent 3D-Filmproduktion Europas im Genre Mystery-Thriller gedreht, von einer kleinen Produktionsfirma aus Rösrath bei Köln.
Als Ingo Hamacher Bellacoola zusammen mit Holger Hage und dessen Firma European Motion Pictures (EMP) im Jahr 2008 anfing, die Finanzierung für diesen Streifen zusammenzutragen, gab es im deutschsprachigen Raum etwa 30 Kinos, die dreidimensionale Filme zeigen konnten. Heute sind es schon etwa 400 Filmtheater in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die über die nötige Technik verfügen. Und 3D-Fernsehgeräte sind im Kommen. Die beiden Produzenten und Autor und Regisseur Till Hastreiter wollen ganz vorn dabei sein mit ihrem stereoskopischen Film.
Mitten im Wald, am Rande des 600-Einwohner-Ortes Hummelshain, steht das 1879 bis 1885 errichtete Schloss. Der üppige Neorenaissance-Bau mit Park, großer Freitreppe, holzvertäfeltem Festsaal, Wandfresken, Musikzimmer und Bibliothek war schon öfter Schauplatz für Filmaufnahmen. Iris Berben alterte zum Beispiel im ZDF-Dreiteiler "Krupp - Eine deutsche Familie" stilvoll im Hummelshainer Kaminzimmer, während sich der Zuschauer in der "Villa Hügel" der Familie Krupp in Essen wähnte. Im Juni dieses Jahres wurden Actionszenen mit Flammen und Sprüngen vom 48 Meter hohen Schlossturm für die RTL-Produktion "Lasko - Die Hand Gottes" gedreht.
Jetzt also ein Mystery-Film, "Das verbotene Mädchen", und noch dazu dreidimensional. "Wir drehen für das junge Kinopublikum. Das mag solche Themen, wie die erfolgreichen Vampir-Streifen "Twilight", oder "Vampire Diaries" zeigen", sagt Hamacher Bellacoola. Aus Deutschland heraus soll für den internationalen Markt produziert werden. Gedreht wird deshalb in Englisch, mit einem internationalen Schauspieler-Ensemble. Den Weltvertrieb für "The Forbidden Girl" hat ein amerikanischer Verleih übernommen; in den USA, wo 3D-Kinos wie Pilze aus dem Boden schießen (etwa 3 500 Leinwände), wird auch der Filmstart sein. In die deutschen Kinos wird der Thriller 2011 durch den Berliner "farbfilm verleih" gebracht.
Regisseur Till Hastreiter erzählt von Leidenschaft und ewiger Abhängigkeit. Der junge Priestersohn Toby McClift, dargestellt vom Londoner Schauspieler Allan Peter Gadiot, verliert bei der Suche nach seiner Liebe Laura (Jytte-Merle Böhrnsen aus Berlin) fast den Verstand. Im Kampf gegen die älteste Hexe der Welt, Lady Wallace (Jeanette Hain, Berlin) und gegen ihren treu ergebenen Werwolf Mortimer (Klaus Tange, Kopenhagen) riskiert Toby sein Leben.
Die Drehzeit für den dreidimensionalen Streifen ist wesentlich länger als für einen zweidimensionalen Film angesetzt. "Auch wir Filmemacher fangen gerade erst an, innerhalb der Filmsprache den 3D-Dialekt zu erlernen. Aufnahmetechnik, Bildgestaltung und Inszenierung sind grundlegend anders. Manche Perspektiven wie Tele-Einstellungen fallen überwiegend weg, werden aber durch die intensive räumliche Erfahrung mehr als ausgeglichen", erläutert Ingo Hamacher Bellacoola.
Fast 200 Schlösser und Burgen im Raum Berlin-Brandenburg wurden als Drehorte in Augenschein genommen, doch nichts passte, weder vom Aussehen noch vom Preis. Deshalb erhielt das Neue Jagdschloss Hummelshain den Zuschlag, das letzte in Europa gebaute Residenzschloss. Es hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, war Sommersitz der Regenten von Sachsen-Altenburg, gehörte nach 1918 dem Land Thüringen, dann einem Pößnecker Verleger. 1944 wurde es Krankenhaus für Zwangsarbeiter und während der DDR-Zeit Jugendwerkhof.
Heute befindet es sich wieder in Privatbesitz und wird vor allem durch Führungen und eben solche Filmaufnahmen finanziert. Der Förderverein Schloss Hummelshain bietet eine "Residenzdorfführung" an, in der neben Altem und Neuem Schloss auch die in Europa einzigartige Jagdanlage Rieseneck zu besichtigen ist.
Konzentriert wird gearbeitet im Schloss. Um den räumlichen Eindruck zu schaffen, muss jede Einstellung von zwei Kameras aufgenommen werden, die durch einen halbdurchlässigen Spiegel filmen. Sie müssen in ähnlichem Abstand voneinander stehen wie unsere Augen, also etwa 6,5 Zentimeter. Das ist so wenig, dass man mit sehr kleinen Kameras arbeiten müsste, die aber nicht die beste Kinoqualität bieten. Nimmt man die normal großen Kameras, braucht es einen technischen Trick: Die beiden Kameras werden horizontal und vertikal in ein Gestell, ein so genanntes Rig, montiert.
Die vertikale Kamera filmt von oben, die Aufnahmen werden durch den Spiegel umgelenkt. Die zweite filmt horizontal durch den Spiegel hindurch. Beide Bilder, das rechte und das linke Auge simulierend, werden in der Nachbearbeitung zu einem Gesamtbild vereint, das zurzeit im Kino noch mit einer 3D-Brille betrachtet wird. Holger Hage: "Beim 3D-Dreh muss ständig überprüft werden, in welchem Winkel die Kameras zueinander stehen. Deshalb hat der ungarische Kameramann Tamas Kemenyffy zusätzlich zum Kamera-Assistenten noch einen Stereographer an seiner Seite, der auf die Justierung der beiden Kameras achtet und bei der 3D-Bildgestaltung berät."
"Vieles muss vor dem Dreh bedacht werden", erklärt Ingo Hamacher Bellacoola, "wann setze ich einen 3D-Effekt, wann gestalte ich das Bild ruhig, gebe dem Auge Zeit zum Ausruhen. Einen neuen Raum muss ich eine Zeit lang stehen lassen, damit der Zuschauer sich zurechtfindet. Kinder erfassen die Dreidimensionalität einer Szene schneller als Erwachsene. Auch die Farben spielen bei 3D-Filmen eine wichtige Rolle. Wir kennen das aus der Malerei, hellere Farben sind näher beim Betrachter, dunklere wirken mehr im Hintergrund". In ein paar Monaten können wir uns von der dritten Dimension eines deutschen Mystery-Thrillers verzaubern lassen. Wenn wir uns denn ins Kino trauen.