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Film-Klassiker Film-Klassiker: Pennäler-Streiche gegen den Schrecken des Krieges

Von ANDREAS HILLGER 30.12.2010, 18:03

Halle (Saale)/MZ. - Die berühmte Faustregel für das Verhalten bei alkoholischer Gärung wird in Szene 16 serviert: "Jeder nur einen winzigen Schlock", fordert Professor Crey, den die aufsässigen Gymnasiasten aus der Oberprima hinter seinem Rücken nur Schnauz nennen. Die vermeintlich verheerenden Folgen, die sein hausgemachter Heidelbeerwein dann dennoch bei den Probanden auslöst, haben Filmgeschichte geschrieben - ebenso wie die folgende Karzerstrafe für den Rädelsführer Pfeiffer "mit drei f".

Premiere trotz Verdunkelung

Doch "Die Feuerzangenbowle", die heute selbst in Universitäts-Hörsälen als Inbegriff deutscher Pennäler-Gemütlichkeit abgefeiert wird, hat eine gänzlich humorfreie Entstehungsgeschichte. Als der Film mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle am 28. Januar 1944 Premiere feierte, galt für das Stadtgebiet von Berlin zwischen 17.37 Uhr und 7.18 Uhr Verdunkelungspflicht. In seinen Memoiren erinnert sich der Ufa-Star Rühmann, dass in der vorangegangenen Nacht "1 077 englische Flugzeuge 3 715 Tonnen Bomben auf Berlin abgeworfen" hatten. Das kleine Örtchen Babenberg, in dem der erfolgreiche Schriftsteller Johannes Pfeiffer seine versäumte Schulzeit nachholen will, stand also in denkbar größtem Kontrast zur Trümmerwüste rund um die Uraufführungs-Kinos "Tauentzien-Palast" und "Ufa Königstadt".

Dem Berliner Journalisten Oliver Ohmann ist es zu danken, dass man nun die vollständige Chronologie der erfolgreichsten deutschen Filmkomödie nachlesen kann. In seinem im Lehmstedt-Verlag erschienenen Buch "Heinz Rühmann und ,Die Feuerzangenbowle'" erzählt er nicht nur die Vorgeschichte, die mit einer Bahnfahrt der beiden Autoren Heinrich Spoerl und Hans Reimann im Jahr 1931 beginnt - sondern auch die schier unglaublichen Ereignisse, die dem Film schließlich auf die Leinwand verhalfen. Denn obwohl Heinz Rühmann bereits in der ersten Adaption "So ein Flegel" 1934 die Tauglichkeit des Stoffes unter Beweis gestellt hatte, musste er für die Freigabe der neuen Bearbeitung eine weite Reise antreten. Ein Gutachter der Reichspropagandaleitung hatte nämlich verheerende Wirkung auf die Schulerziehung befürchtet, die durch den Kriegsdienst der jüngeren Lehrer "an sich schon erschwert" sei.

Wenn nun die freiwillig aus dem Ruhestand zurückgekehrten Pädagogen "derartig lächerlich" gemacht würden, wäre die Autorität der Schule "geradezu gefährdet". Also ließ sich Rühmann, der über gute Kontakte zu Hermann Görings Luftfahrtministerium verfügte, einen Termin in der Wolfsschanze geben - und fuhr mit den Filmrollen in den "bösen Zauberwald", als den er Hitlers gigantische Bunkeranlage später erinnerte.

Zwangsarbeit vor den Toren

Dass eine scheinbar harmlose Komödie über Dummejungen-Streiche und Altherren-Witze also noch im vorletzten Weltkriegswinter die NS-Führung beschäftigte, zeigt das massive ideologische Interesse an diesen Formen kollektiver Zerstreuung. Ohmann schildert diese Vorgänge ohne die besserwisserische Haltung der Nachgeborenen, aber mit der gebotenen Deutlichkeit. Und tatsächlich kommentieren sich die Fakten selbst, wenn man liest, dass unmittelbar vor den Toren der mit 2 000 Mitarbeitern besetzten Filmstadt Babelsberg rund 18 000 Zwangsarbeiter gefangen gehalten wurden. Auch die gebrochenen Biografien etwa des Dichters Hans Reimann, der sein Leben durch Opportunismus rettete, bedürfen keiner selbstgerechten Kommentare.

Um so bedauerlicher ist es, dass der Autor diese noble Zurückhaltung bei seinen Seitenhieben auf die Filmwissenschaft aufgibt. Natürlich ist es bemerkenswert, dass er mit seiner faktensatten Materialiensammlung zur "Feuerzangenbowle" nach sechseinhalb Jahrzehnten noch Neuland beackern kann. Aber das hat wohl auch mit einer akademischen Blindheit zu tun, die dem unterhaltenden Genre generell entgegengebracht wird. Ohmann macht es besser, indem er sich an einen anderen berühmten Film-Satz hält: Professor Bömmels "Da stelle mer uns janz dumm".

Oliver Ohmann: "Heinz Rühmann und ,Die Feuerzangenbowle'", Lehmstedt-Verlag Leipzig, 406 S., 24,90 Euro