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Festival «Theater der Welt» Festival «Theater der Welt»: Vermessung des Gartens

Von Andreas Hillger 02.07.2008, 19:01

Halle/MZ. - Denn als das Ensemble - dem das Festival "Theater der Welt" viel Freiraum im Gesamtprogramm eingeräumt hat - seine Performance nach einer Dreiviertelstunde beendete, kannte die Begeisterung kaum Grenzen.

Dabei war die Anverwandlung der Wege und Terrassen, in denen die Künstlerfamilie Rataiczyk traditionell Sommerausstellungen mit plastischen Arbeiten veranstaltet, eher behutsam als zupackend. Wie bereits in Wörlitz bewährten sich die Tänzer als artistische Naturforscher, die tanzend den Boden vermessen und die Pflanzen umarmen, exotische Tierlaute ausstoßen und grazile Posen erproben. Das bleibt so impressionistisch und zart, dass es kaum Spuren hinterlässt - lediglich die aus dem Geäst geschüttelten Äpfel werden nicht mehr reifen. Ouambas Solo "Take It Away" hingegen, das den zweiten Teil des Abends bestimmte, war wesentlich ausgeformter und kraftvoller, erinnerte im Zusammenspiel mit dem kolumbianischen Gitarristen Alejandro Olarte und in der Rahmung durch die menschliche Stimme aber stark an seinen Auftritt auf der Felseninsel "Stein". Dass dem "Skulpturengarten" dennoch eine neue, leibhaftige Bedeutung gegeben wurde, sah man beim Blick auf den regungslos im Abstieg verharrenden Strom der Zuschauer.

Wie "Theater der Welt" aus dem fremden Blick auf das Vertraute neue Perspektiven gewinnt, ist in den vergangenen 14 Tagen immer wieder beschrieben worden. Jene "Stadt(ver)führungen" aber, mit denen sich die Kulturinsel als umsichtiger Gastgeber erweist, gewinnen ihren Reiz durch die minimale Veränderung bekannter Blickwinkel. So ist es für die Passanten mindestens ebenso irritierend wie für die Insassen, wenn ihnen im Stadtbild eine Kolonne von sieben Autos der Marke "Trabant" begegnet - oder eine Kutsche voller Menschen mit weißen Zylindern, die ein Puppen-Skelett aus der Neuen Residenz in die Meckelsche Sammlung am Steintor überführen.

Ausgedacht hat sich dies ein Mann, der an jedem Festival-Nachmittag seine eigene poetische Geschichtsstunde im einstigen Seziersaal der Anatomen-Dynastie Meckel veranstaltet: Wilhelm Bartsch, Halles Legendensammler und Anekdotenarchivar, erprobt hier seine "Messerzüge" am lebenden Subjekt - eine Vorlesung aus dem großen Sittengemälde der Napoleon-Zeit, das Bartsch seit Jahren umtreibt und zugunsten seiner Beteiligung an "Theater der Welt" zurückgestellt werden musste. Aber bereut hat der Poet den Abstand von seinem Hauptgeschäft gewiss nicht: Wer ihn nach "Wilhelm wartet" im Hof des Festivalzentrums gesehen hat, wie er zigarrenschmauchend und kaffeeschlürfend mit seinem Publikum plaudert, der wird erkannt haben, dass "Theater der Welt" nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Akteure ein großes Glück sein kann.

Das gilt für die drei Darsteller der leichtsinnig ins prekäre Milieu gerutschten "Halleschen Störung" ebenso wie für das Filmteam von "Napoleon 1-2-3", das sich direkt aus der Compagnie des legendären Theaterintendanten Striese rekrutiert - ein augen- und konsonantenrollendes Schmierentheater, wie man es sich schamloser kaum denken kann. Auch auf dem Bartholomäus-Kirchhof und "Am nördlichen Ende des ostafrikanischen Grabens" werden eigene, ganz andere Töne angeschlagen: Eine poetische Palette mit sieben Farben, ein Regenbogen von Liebeserklärungen an die Stadt Halle - hoffentlich finden diese Arbeiten von Jos Houben und seinen Ko-Regisseuren nach dem Festival einen würdigen Platz im Repertoire!