Expressionisten in Halle Expressionisten in Halle: Neue Ausstellung in der Moritzburg

Halle (Saale) - Der Rote Turm ist wieder sichtbar. Nicht der wirkliche auf dem halleschen Markt, der immer dasteht, sondern der künstlerisch wahre - von Lyonel Feininger gemalt. „Roter Turm II“ heißt das Gemälde, das von diesem Sonnabend an bis Mai in der Moritzburg zu sehen ist. Dort, wo es 1930 als Teil der insgesamt elf Bilder fassenden Halle-Serie Feiningers entstanden war, die 1937 in der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und aus dem Museum entfernt wurde. Nun ist das Bild als ein Höhepunkt der Ausstellung zu erleben, die unter dem Titel „Die Stille im Lärm der Zeit“ Meisterwerke aus der Sammlung Ziegler zeigt.
Werke waren bereits als Leihgabe zu sehen
Bereits 1991 war der „Rote Turm II“ leihweise in der Moritzburg zu Gast. Wer ihn damals nicht sehen konnte, wird es jetzt versuchen. Das Museum zeigt nicht einfach nur das Gemälde. Aus den Moritzburg-Beständen wurden Kohle-Zeichnungen Feiningers hinzugefügt. Eine Fotografie von 1929 hängt aus, die den Turm abbildet. Auch wenn die eigentliche Vorzeichnung des Gemäldes bis heute nicht gefunden ist, ergeben die Zutaten - luftige Boots-Aquarelle inklusive - ein reizvolles Arrangement, das die starke mitteldeutsche Feininger-Gemeinde in Gang setzen wird.
Viele Wege führen nach Halle, auch in dieser Ausstellung, die hauptsächlich mit Werken von Marc, Macke und Nolde wirbt. Das ist nicht falsch, aber diese Schau bietet mehr: Arbeiten von Schlemmer, Klee, Jawlensky und Beckmann sind dabei. Gemälde und Aquarelle, die von 1958 an von dem Chemiker und Nobelpreisträger (1963) Karl Ziegler (1898-1973) und dessen Familie erworben worden sind und die den Grundstock der Stiftung Sammlung Ziegler im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr bilden. Weil das Haus saniert wird, kann die Sammlung auf Reisen gehen: nach Halle macht sie im ostfriesischen Emden Station.
Besatzungsmächte befahlen Umzug des Chemikers Ziegler
Karl Ziegler ist kein Mann der Kunst, sondern der Chemie, der wichtige Grundlagen für die Herstellung von Kunststoffen schuf. Von 1936 bis 1945 arbeitete er als Direktor des Chemischen Instituts der Martin-Luther-Universität in Halle, seit 1943 zudem als Leiter des Kaiser-Wilhelm-, des späteren Planck-Institutes für Kohleforschung an der Ruhr. Als die Amerikaner 1945 Halle wieder verließen, befahlen sie den Umzug des Chemikers in die britische Besatzungszone. Aus den Zieglers konnten keine „Halloren“ werden, sie blieben „Hallunken“, wie die Zugereisten heißen.
Das Wort brachte Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich bei der Präsentation der Ausstellung ins Spiel. Bei der war viel von Entschleunigung die Rede, die diese Kunst beim Betrachter bewirke. „Es ist eine Ausstellung, in der man Stress abbauen kann“, sagt Kurator Wolfgang Büche. Hier gelinge der „Ausstieg aus dem Lärm des Alltags“, erklärt Bauer-Friedrich. Kunst auf Rezept: Fragen Sie ihren Kurator oder Apotheker? Der angereiste Mülheimer Kurator Michael Kuhlemann konnte über solche Zuspitzungen nur staunen.
Tatsächlich hat die Häufung von Kinder- und Tierbildern, von Stillleben und Landschaften, eben von all dem, was einem älteren bürgerlichen Ehepaar an Kunst gefällt, einen behaglichen Effekt. Die Pointe ist nur: Wir begegnen hier eigentlich höchst ungemütlichen Künstlern, der ersten Garnitur von expressionistischen Malern, die aber ohne ihre scharfen sozialen und malerischen Gesten auftreten. Sozusagen ein Expressionismus für das Teezimmer, wo man sich neben den Schnittblumen in Porzellanvasen auch die gemalten Königskerzen von Nolde hängt.
Sechs Abteilungen, mit der „Entdeckung der Kindheit“ geht es los: Bilder von Macke, Marc und der Kollwitz. Es folgt die Darstellung der Natur in Arbeiten von Nolde, Rohlfs und Schmidt-Rottluff. Menschenbilder liefern Macke, Nolde, Schlemmer und Beckmann, das Feininger-Kabinett schließt sich an, auf das die Tierbilder unter anderem von Heckel und Marc folgen. Durchweg sind Entdeckungen garantiert: Klees Gemälde „Herbstsonniger Ort“ von 1921, ein Tunis-Aquarell von Macke. Marcs „Landschaft mit Fabeltier“ gehörte dem Moritzburg-Direktor Schardt, aus dessen USA-Exil es den Weg nach Deutschland zurück zum Käufer Ziegler fand - und so nach Halle. Die Schau ist - in ihrer didaktischen Aufgeräumtheit - nicht nur kunst-, sondern auch sammlungshistorisch von Interesse. Sie hat ihren Ursprung in einem von den NS-Jahren und dem Nachkrieg umgepflügten Kunstmarkt.
Spuren im Universitätsarchiv
Karl Ziegler selbst gehörte nicht der NSDAP an; er wurde als „Förderndes Mitglied der SS“ geführt. Im halleschen Universitätsarchiv sei das als Selbstauskunft Zieglers hinterlegt, wie Thomas Bauer-Friedrich recherchierte. Nach Auskunft des Mülheimer Kurators galt Ziegler den Nazis als „Judenfreund“, dem kein Lehrstuhl gegeben werden sollte, bis ihm 1936 der Sprung nach Halle gelang: erst mit einer Vertretungs-, 1938 mit ordentlicher Professur, im selben Jahr berief ihn die Leopoldina. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ziegler Feiningers „Turm“ 1967 aus nostalgischen Impulsen kaufte. In das stille Gewoge von Kindern, Tieren und Blumen passt es nicht.
Öffnungszeiten in der Moritzburg
Bis 12. Mai: Mo, Di, Do-So 10-18 Uhr. Eröffnung am Sonnabend um 18 Uhr. Begleitprogramm: Vortrag von Manfred Rasch: Der Wissenschaftler Karl Ziegler, 21.3. um 18 Uhr; Andreas Hüneke: Expressionismusrezeption nach 1945, 28.3. um 18 Uhr; Podiumsdiskussion: Freiheit und Grenzen von Wissenschaft und Kunst: u. a. mit Wolfgang Ulrich am 25. April um 18 Uhr. (mz)