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Erwin Strittmatter Erwin Strittmatter: «Alle erzählten vom Krieg. Er nicht»

Von christian eger 27.07.2012, 19:01

Halle (Saale)/MZ. - Erwin Strittmatter und Erich Loest: 1953 sind sie zwei DDR-Schriftsteller in der Sommerfrische. Im Sprachgebrauch der Zeit: zwei "hoffnungsvolle junge Autoren und Genossen". Gemeinsam verbringen Erwin, 41, und Erich, 27, den Sommer nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni in Ungarn. Ein Auslandsmonat als Auszeichnung. Wohnung in bester Lage, gutes Frühstück, volles Programm. Loest, der Sachse, geht Fußball gucken. Erwin, den Brandenburger, zieht es in den Zirkus.

"Außerordentlich kameradschaftlich" sei das Verhältnis zwischen ihnen gewesen, gibt Erich Loest im März 2011 zu Protokoll. Der 17. Juni sei ihr "großes Thema" gewesen. Ulbricht müsse weg und "alles" demokratisiert werden, das seien die Gesprächsthemen des "Ochsenkutscher"-Autors gewesen. Meinungen, die den privaten Raum nicht verlassen. Wie vieles, das man bespricht. Vieles, aber nicht alles, was Erich Loest schlagartig klar wird, als er 2008 von Strittmatters Kriegseinsatz in einem Polizei-Gebirgsjäger-Regiment hört.

Da sei ihm das im Nachhinein aufgefallen, sagt der heute 86-jährige Loest der Berliner Historikerin Annette Leo: "Er hat nicht übern Krieg geredet. Das war sonst üblich. Alle erzählten vom Krieg und von der Gefangenschaft. Erwin nicht." Dass er in Griechenland war, habe Strittmatter zugegeben, und dass das wohl "nicht weiter schlimm" gewesen sei, was Loest eingeleuchtet habe. "Und das war es aber schon. Keine Einzelheiten."

Die teilte der 1912 geborene und 1994 gestorbene Bestsellerautor ("Ole Bienkopp", "Der Laden") auch anderen nicht mit. Nicht seiner dritten und letzten Ehefrau, der Dichterin und vormaligen Schriftstellerverbandsfunktionärin Eva Strittmatter (1930-2011). Nicht deren Söhnen und den Kindern aus den Ehen davor. Auch gegenüber den Institutionen, denen er sich nach 1945 andiente, blieb der gelernte Bäcker einsilbig. Die jeweils angeführten Einzelheiten waren selten Wahrheiten, und wenn doch, passten sie nicht zueinander.

Erwin Strittmatter: Schriftstellerverbands-Chef, Nationalpreisträger, Auflagenkönig mit Neigung zu esoterischen Weisheitslehren. Ein Mann mit Geschichten, aber ohne eindeutige Biografie. Es sei verblüffend, sagte Eva Strittmatter über die Prosa ihres Mannes: Was den Leuten darin als realistisch erscheine, sei erfunden, was sie für absurd hielten, sei die Wahrheit.

Der geht nun Annette Leo nach, die 1948 geborene Tochter von aus Frankreich über Westdeutschland in die DDR übersiedelten Emigranten. Männer wie Strittmatter waren es, die ihren jüdischen Eltern immer unheimlich blieben. Leos Interesse an Strittmatter wurde von den 2008 veröffentlichten Informationen über dessen Kriegsdienst in einer SS-Polizeieinheit geweckt. Und von den Reaktionen im Osten darauf: "dieses erschütterte und zugleich resignierte Schweigen".

Über 400 Seiten zählt die Biografie, in der Annette Leo diesem Schweigen ein Sprechen entringt. Aus erstmals gesichteten Akten, aus Gesprächen mit Weggefährten wie den Schriftstellern Erich Loest und Hermann Kant, dem Strittmattersohn Knut sowie der uralten Jugendgefährtin Erika Brix. Aus den Briefen vor allem, die Strittmatter von 1939 bis 1942 an seine Eltern in Bohsdorf schrieb. Briefe aus der Kaserne und aus dem Feld, die Eva Strittmatter erst 2008 zu Gesicht bekam. So erschüttert wie ihre Söhne. Diese händigten, nach anfänglichem Widerstand, die Papiere im August 2011 an Leo aus.

Die Briefe bilden die Achse, um die sich Leos Strittmatter-Erzählung dreht. Dreimal hatte sich dieser freiwillig gemeldet: 1939 zur Wehrmacht und Schutzpolizei, 1940 zur Waffen-SS. Dreimal wird der Familienvater, der raus will aus seiner Ehe und seinem Alltag, abgelehnt, weil ihn die Saalfelder Zellwollfabrik für unabkömmlich hält. Schließlich wird Strittmatter 1941 zum Polizeibataillon 325 nach Halle einberufen, um in Eilenburg ausgebildet zu werden. Bereits im Herbst erfolgen Einsätze zur Partisanenbekämpfung in Slowenien, dann Stationen in Krakau, später in Finnland, Tirol und noch einmal zur Partisanenbekämpfung in Griechenland. 1942 wird Strittmatters Bataillon in das neugegründete Polizei-Gebirgsjäger-Regiment Nr. 18 eingegliedert, das 1943 auf Weisung Himmlers als "Ehrentitel" den Namenszusatz "SS" erhält.

Die von Leo zitierten Briefe zeigen Strittmatter in seinen Worten als "Vertreter der nordischen Rasse", der schon einmal stolz darauf ist, "ein Himmelfahrtskommando geführt" oder "eine Rebellenbande" zerschlagen zu haben. Der einen "Feuersegen" über Land schickt und stets dabei ist, "wenn Sonderaufgaben vorliegen". Aber was kann das nun alles belegen und nicht nur gegenüber den Eltern auch angeberisch bedeuten?

Vorweg: Strittmatter war nie Mitglied der SS, sondern sein Regiment ist der SS zugerechnet worden. Es ist nicht auszuschließen, dass Strittmatter in Slowenien und Griechenland an Gewaltakten gegen Zivilpersonen beteiligt war. Für Annette Leo steht fest, dass Strittmatter 1942 am Kampf um das slowenische Dorf Drazgose teilnahm, der dem NS-Massaker im tschechoslowakischen Lidice vergleichbar gewesen sein soll. Die von Strittmatter zeitlebens aufgestellte Behauptung, dass er während des Krieges nie einen Schuss abgegeben habe, sei nicht zu halten. Über Drasgoze schrieb er: "War wieder mal Schütze 2 am 1. M.G". Auf der Insel Naxos soll er sogar einen Partisanen erschossen haben - wenngleich aus Versehen.

Strittmatter, so viel steht fest, war nicht von Anfang an der den Wäldern, Feldern und Tieren lauschende Simplicissimus, als der er sich in seinen Büchern gern darstellte. Und der er, je älter je stärker, sein wollte: ein Sozialist des Herzens, ein märkischer Tolstoi, der in seinem Schulzenhofer Bauernhof auf eine ideale Welt hinschrieb. Das alles konnte er auch deshalb nur näherungsweise sein, weil Strittmatter in den Dingen des Schreibens und Lebens bis zuletzt merkwürdig verstellt, nur hinter vorgehaltener Hand entschieden, nach außen hin selten tapfer war.

Immer fehlte etwas zur Vollkommenheit: ein bisschen Freiheit, Weisheit oder Poesie. Vielleicht eine Langzeitfolge der brutalen Beengtheit von Strittmatters landproletarischer Herkunft. Seine Verachtung begabter Kollegen, seine Anfälligkeit für Propaganda: Das rührt wohl daher. Auch sein "ausgesprochenes Talent, meine Umgebung unglücklich zu machen".

Annette Leo erzählt davon klug, fair und sinnfällig. Ihre im besten Sinne journalistische Biografie - eine Recherche, die sich auch selbst beschreibt und reflektiert -, findet ihren Schwerpunkt in den Kriegsjahren Strittmatters, geht aber in diesen nicht auf. Der Verlag hätte das Journalistische des Buches betonen sollen: mit Fotografien der Gesprächspartner, der Recherchestationen. Und er hätte seiner Autorin etwas mehr Zeit geben sollen.

Die 70er und 80er Jahre kommen zu kurz; Annette Leo notiert, was sie noch hätte ausführen wollen. Warum tat sie das nicht? Schließlich: Es fehlt Strittmatters Werk in diesem Buch; über das Zitieren von "Stellen" geht es nicht hinaus. Wenn es, was gar nicht sicher ist, irgendwann noch einmal eine Strittmatter-Biografie geben sollte, wird es eine Werk-Biografie sein.