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Ernst Bloch Ernst Bloch: «Denken heißt überschreiten»

Von Bernward Loheide 01.08.2002, 15:37
Ernst Bloch
Ernst Bloch dpa

Tübingen/dpa. - 25 Jahre nachseinem Tod scheint die Erinnerung an diesen großen Grenz- undEinzelgänger vielerorts etwas verblasst, nicht aber in Tübingen.

«Kann Hoffnung enttäuscht werden?», lautete 1961 der Titel seinerviel beachteten Antrittsvorlesung in Tübingen. Damit zielte Bloch aufdie Mitte seines ganzen Denkens: Die in der Geschichte immer wiederenttäuschte Hoffnung auf ein Reich der Freiheit, Gleichheit undBrüderlichkeit. Für den Philosophen stand der Sozialismus vor allemwegen seines höheren Utopiegehalts über dem Kapitalismus. In seinemHauptwerk «Das Prinzip Hoffnung» (1954-59) beschwört er die künftige«Erschaffung der Welt als einer rechten» Heimat des Friedens. «DieWurzel der Geschichte», schreibt Bloch am Ende, «ist der arbeitende,schaffende, die Gegebenheiten umbildende Mensch.»

Kein Wunder, dass der Gelehrte ein Idol für viele aufbegehrendeStudenten wurde. In Bad Boll diskutierte Bloch 1968 zum Beispiel mitdem Studentenführer Rudi Dutschke. Doch die größte Wirkung hatteBloch, der zu den bedeutendsten deutschen Denkern des 20.Jahrhunderts zählt, nicht in der Philosophie, Soziologie oderPolitologie. Die meisten Anstöße nahmen katholische und evangelischeTheologen auf. Die gesamte «Neue politische Theologie» von JürgenMoltmann (Tübingen) und Johann Baptist Metz (Münster) wäre ohneBlochs messianischen Traum von der «Auferstehung des Fleisches» kaumdenkbar.

Nicht nur mit seinem Denken, sondern auch mit seinem ganzen Lebenhat Bloch ständig Grenzen überschritten. Geboren wurde er 1885 inLudwigshafen, wo heute ein Ernst-Bloch-Zentrum über sein Leben undWerk informiert. 1908 promovierte er zum Dr. phil. Zehn Jahre spätererschien sein erstes großes Werk «Geist der Utopie». In den 20erJahren lebte Bloch vor allem in Berlin und hatte Kontakt zu TheodorW. Adorno, Walter Benjamin und Bertolt Brecht. Beim Machtantritt derNazis floh er 1933 aus Deutschland. Nach mehreren Stationen kam er1938 in die USA. Nach dem Krieg nahm er 1947 die Berufung auf denLeipziger Lehrstuhl für Philosophie an.

In der DDR geriet Bloch zunehmend in Konflikt mit dem SED-Regime,so dass er 1957 zwangsemeritiert wurde. Nach dem Bau der BerlinerMauer kehrte er im September 1961 von einem Besuch in derBundesrepublik nicht mehr in die DDR zurück. Stattdessen wagte erabermals einen Neuanfang - in Tübingen, wo er bis zuletzt tätig warund im Alter von 92 Jahren starb.