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Erich Loest Erich Loest: Ich bin ein harter Sie-Sager

Von CHRISTIAN EGER 23.02.2011, 19:36

LEIPZIG/MZ. - Leipzig im August 2008.Der Schriftsteller Erich Loest notiert: "Indiesem Monat werde ich 82,5 Jahre alt, eingrößeres Projekt ist nicht geplant, mich bedrängtkein Thema. Nun könnte mir passieren, wasviele quält, wenn sie aus ihrem Arbeitsrhythmusgerissen werden; sie wissen mit der endlosenZeit nichts anzufangen, quengeln, fallen sichund ihrer Umgebung zur Last."

Das soll diesem Autor nicht passieren. Geradehat er den zweiten Teil des Romans "Völkerschlachtdenkmal"abgeschlossen, ein Theaterstück, ein Hörspiel,die Erzählung "Wäschekorb". Seit Loest 1950als Redakteur der Leipziger Volkszeitung gefeuertwurde, hat er sich täglich nach dem Frühstückan den Schreibtisch gesetzt - und geschrieben.Bis auf diesen Tag im August. Was tun, umnicht zu rosten? Loests rettende Idee: Tagebuchschreiben. Er vermerkt: "Das Schreiben einesTagebuchs, in dieser Ausführlichkeit für michneu, trägt auch therapeutische Züge."

Und programmplanerische. So kann dann dochein neues Buch auf dem Ladentisch landen,der heute ein Geburtstagstisch ist. Denn derSchriftsteller Erich Loest wird 85Jahre altund bringt sein Tagebuch vom August 2008 biszum September 2010 heraus. Veröffentlichtunter dem Titel "Man ist ja keine achtzigmehr". Was heißt: Man muss das Machbare gutmachen. Keinen Roman mehr, den "überblicktman nicht mehr". Auch ein Tagebuch ist nichtnur Kür. Erich Loest ist ja ein gern in derÖffentlichkeit austeilender, aber nur ungernein öffentlicher Mensch. Allzumenschlichesvor Publikum auszurollen, war nie seine Sache.

Aber er kann es, wohldosiert. Im Tagebuchzeigt Loest sich selbst und die Menschen,mit denen er zu tun hat. Dabei schont er nicht,bleibt aber taktvoll - und genau. Das beginntmit dem ersten Notat, das ein Schreiben desLoest-Sohnes Thomas an den Vater ist, vondem er "unverzüglich" 2666,95 Euro auf dasKonto des Linden Verlages fordert. Ein Unternehmen,das mit den Werken Loests an den Start ging -und in die Grätsche. Erich Loest: "Mit ihrerArbeit war ich seit Jahren unzufrieden, versuchte,ihnen die Rechte zu entziehen, und scheiterte."Fortan wurde prozessiert. "Triumph sieht andersaus", schreibt er später. Loest verschweigtdas nicht. Stellt es so dar, dass es sichdem Leser erschließt. Dabei fliegen die Sympathienweder dem Sohn noch dem Vater zu. Beide nimmtman zur Kenntnis. In diesem Fall: Loest weichtnicht aus.

Mehr als 200 Seiten zählt das Tagebuch, dasauch ein Arbeitsbuch ist. Loest rückt Publizistischesmit ein, an dem er jeweils gearbeitet hat.Beiträge über den aus Leipzig stammenden Journalistenund Schriftsteller Dieter Zimmer, über JohannesR. Becher, den Streit um Marx-Relief und Universitätskirchein Leipzig, den Herbst 1989 und das Einheitsdenkmal.Er notiert Lektüren, die ihn beeindruckt haben.Über Anthonoy Beevor "Der Spanische Bürgerkrieg":"Endlich ein ausführliches Buch... Ich verfolgedie Kämpfe, die beinahe immer Niederlagender Republikaner waren". Über Karl Schlögel"Terror und Traum. Moskau 1937": "Ich erinneremich an knappe, verharmlosende Äußerungenvon Alfred Kurella und Wieland Herzfelde überdiese Zeit und versuche mir Tonfall und Gesichtsausdruckvorzustellen. Wir Jungen drangen nie hinterihre Visiere." Referenzen aus einem Leben,das in Mittweida begann und gut bekannt ist:nach den HJ-Jahren SED-Eintritt, von 1957bis 1964 Zuchthaushaft in Bautzen, 1979 Austrittaus dem Schriftstellerverband, 1981 Ausreisein den Westen, 1990 Rückkehr nach Leipzig,wo er als Ehrenbürger lebt.

Es ist eine willkommene Ergänzung, einmalden Mitmenschen Loest zu sehen. In beiläufigenNotaten wie vom August 2008: "Dieser Sommerverläuft heiß, gewittrig. Freunde, die Gärtenbesitzen, überschütten uns mit Bohnen, Tomatenund Brombeeren. Mit meinem Skatbruder HelmutKlotz umrunde ich die Steinbrüche von Ammelshain."Tage danach: "Abends schaue ich gewöhnlichein Stündchen lang an, was es bei den OlympischenSpielen in China so gibt. Die deutschen Reitersind großartig, sonst geht fast alles schief."Loest spürt das Nachlassen seiner Sehkraft:"Im Gewandhaus, in der Oper scheint es mir,als ob mich Menschen freundlich grüßten, sicherbin ich mir nicht. Manchmal nicke ich grinsendzurück. Womöglich hält man mich für arrogant".

Selbstverständlich zeigt sich Loest auchals Mann der klaren Kante: "Ich bin ein harterSie-Sager, weil im Knast jedes Arschloch duzu mir sagen durfte." Kante-Kandidaten lauernüberall. Loest zitiert sich selbst: "Wer fürReformen in der DDR und damit für ihren Bestandeintrat, wollte die Vereinigung nicht. AlsBremser nenne ich Modrow, Diestel und Gysi,als Hilfsbremser Masur, Heym, Christoph Hein,Schorlemmer und Christa Wolf." Zusatz vonLoest: "So macht man sich Freunde." Aber manerfährt auch Neues. Es war Loest, der im Gesprächmit Gerhard Schröder 1998 den Posten des deutschenKulturstaatsministers erfand.

Neu war bis vor zwei Wochen auch, dass ErichLoest Anfang 1944 einen Antrag auf Aufnahmein die NSDAP gestellt hatte (die MZ berichtete).Im April 2009 ist zu lesen: "Mir fällt ein:1943-44 galt es als normal für einen Oberschülerund Jungvolkführer wie mich, um Aufnahme indie NSDAP zu bitten und sich als Reserveoffiziersbewerberzu melden. Ich füllte ein Formular aus, indie NSDAP eintreten zu wollen, und unterschriebes. Vor einer Aufnahme wurde ich zur Wehrmachteingezogen, während dieser Zeit ruhte jedeMitgliedschaft." Dass diese bestätigt wordenwar, erfuhr Loest 2009. Eine Information,durch die Seitentür ins Werk getragen. "Mirfällt ein...".

Also hat Erich Loest an nahezu allen politischenTheken einmal gestanden. Und bis auf die NSDAP-Sachedavon erzählt. In einer harten, am klassischenJournalismus geschulten Prosa. SächsischerRealismus: lakonisch, sinnfällig, verspielt.Ganz und gar nicht "gemiedlich". Man mussnur die gelungenen Bücher der jüngsten Jahrenennen: "Prozesskosten", "Löwenstadt" undden großen 17. Juni-Roman "Sommergewitter".Ein Halle-Roman! Ein Roman über die Stadt,in der sich dieser große mitteldeutsche Erzähler,der heute 85 Jahre alt wird, immer gut behandeltfühlte. Mancher wird ihn beneiden.