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Ein wichtiges Stück Musikgeschichte  Ein wichtiges Stück Musikgeschichte : Die Folkszene in der DDR

Von Kai Agthe 01.07.2016, 16:35
Unter Gleichgesinnten: Folktreffen in Friedrichswalde 1980
Unter Gleichgesinnten: Folktreffen in Friedrichswalde 1980 Jürgen Hohmuth

Halle (Saale) - Die DDR war klein und grau, doch ihre Musikszene groß und bunt: Punk- und Blues-, Rock- und Pop-Gruppen waren zwischen Arkona und Aue in erstaunlicher Zahl zu finden. Nicht zu vergessen die Folkszene, die sich – sowohl dem Vorbild des Irish Folk als auch der deutschen Volksliedtradition folgend – ab Mitte der 70er Jahre zu etablieren begann und in allen Teilen des Landes ganz unterschiedliche und teils auch stilprägende Ensembles wie Brummtopf (Erfurt) und Folkländer (Leipzig), Landluper (Plauen) und Wacholder (Cottbus) hervorbrachte.

Propagandistisches Liedergut

Wolfgang Leyn, musikalischer Akteur der ersten Stunde und heute MDR-Redakteur, hat unter dem beredten Titel „Volkes Lied und Vater Staat“ die Geschichte der DDR-Folkszene aufgeschrieben. Und zwar so detailreich, dass sein Buch als Kompendium mit langer Halbwertzeit gelobt werden darf.

Als Mitglied der 1976 in Leipzig gegründeten Folkländer war Leyn von Beginn an Augen- und Ohrenzeuge der DDR-Folkmusikszene. Diese entstand in Abgrenzung zu der von der Staatspartei SED und ihrer Jugendorganisation FDJ gesteuerten Singebewegung, deren Repertoire vor allem aus propagandistischem Liedgut wie Arbeiter- und Kampfliedern bestand.

Musikalische Autodidakten

Umgekehrt nutzten die meisten Folkbands das Volkslied-Erbe zur Kritik an den Zuständen im real existierenden Sozialismus. Textgrundlage bildete oft und gern die von dem Ethnologen Wolfgang Steinitz bereits 1954 herausgegebene Sammlung „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“. Die Zensur hatte in diesem Fall keine wirkliche Handhabe: „Das Etikett ,traditionell‘ gab freies Geleit“, so Leyn.

Die meisten Musiker waren musikalische Autodidakten. Auch was an Instrumenten (Brummtopf, Dudelsack oder Drehleier) gebraucht wurde, entstand oft in Eigenregie. Wie die überschaubare Diskografie belegt, war es ein Glücksfall, wenn Folkbands (Folkländer, Horch und Wacholder) Gelegenheit bekamen, beim Staatslabel Amiga eine Langspielplatte zu produzieren.

Buch und CD

Zehn Interviews mit Akteuren wie etwa Volkhard Brock (Notentritt), Stephan Krawczyk (Liedehrlich) und Manfred Wagenbreth (Folkländer), der heute die Sendung „Folk und Welt“ beim Radiosender MDR Figaro moderiert, ergänzen die von Leyn aufgezeichnete Historie durch reichlich O-Ton. Ein Verzeichnis aller relevanten Gruppen sowie eine ausführliche Chronik dessen, was sich in der 25-jährigen Geschichte der DDR-Folkbewegung zugetragen hat, bereichern das Werk überdies.

Nicht nur für die Augen, auch für die Ohren gibt es etwas zu holen: Dem Buch liegt eine CD bei, auf der 20 Stücke von DDR-Folkbands enthalten sind, die größtenteils vor 1989 aufgenommen worden sind – was, über das reine musikalische Vergnügen, den historischen Wert der Mitschnitte ausmacht. Die Spanne reicht von Polkatoffels „Es wollt ein Meyer meyen“ (1979) über Notentritts „Malzhauslied“ (1983) – mit dem die hallesche Band gegen die politisch motivierte Schließung des auch bei Folk-Fans beliebten Musikclubs Malzhaus in Plauen protestierte – bis zu Horchs „Bitte um Verzeihung“ (1990).

„Volkes Lied und Vater Staat“ ist ein gewichtiges Stück Musikgeschichte, das überaus spannende Einblicke in die um künstlerische Unabhängigkeit bemühte DDR-Musikszene bietet. (mz)

Wolfgang Leyn: „Volkes Lied und Vater Staat -Die DDR-Folkszene 1976-1990“, Ch. Links Verlag, 378 Seiten, 35 Euro
Wolfgang Leyn: „Volkes Lied und Vater Staat -Die DDR-Folkszene 1976-1990“, Ch. Links Verlag, 378 Seiten, 35 Euro
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