Dorf der russischen Sängersoldaten Dorf der russischen Sängersoldaten: Die märkische Matroschka
Potsdam/MZ. - Mit Kuh und Kamin
Und der ließ ja nicht locker. Preußen nahezu vernichtet, Napoleon auf dem Sprung nach Moskau: Das war die Situation 1812. Rund zwanzigtausend Preußen hatten mit dem Franzosen nach Moskau zu ziehen. Gegen Alexander, aber der nahm das nicht übel: Er kannte die Lage. Die Preußen machten auch russische Gefangene, von denen die ersten 1812 nach Berlin gelangten. Darunter ein 21-köpfiger Soldatenchor, der mit seinen gefühligen Liedern den Preußenkönig aus der Schwermut brummte.
Mit diesen Sängern fing alles an im preußischen Alexandrowka. Als Napoleon 1815 geschlagen und Europa wieder gott- und herrschaftsgläubig war, feierte der Bund zwischen Friedrich Wilhelm und Alexander seine schönsten Feste. So geschah es denn, dass der Preuße seinem Zaren ein Denkmal zu setzen suchte, als dieser 1825 ins Grab sank. Das Denkmal überrascht bis heute: eine russische Blockhaussiedlung im Norden von Potsdam.
Das sind 14 einst jeweils mit Stall, Kuh und Garten ausgestattete Hütten. Die grüßen in einer Anlage, die der Gartenarchitekt Lenné um ein Wegekreuz gruppierte, das an das russische Andreaskreuz erinnern soll. Finanziert vom König, werden die Hütten an russische Sänger verschenkt, die diese in männlicher Linie vererben durften. Das Gebäudeensemble hat sogar die DDR überdauert. Die wollte das Gelände zu einer Gartensparte kleinhauen.
Ein russischer Frühling in Brandenburg: Im sanierten Blockhaus Nummer eins empfängt dieser Tage ein "Russisches Spezialitätenrestaurant", das unter anderem Sakuska (eingelegte Tomaten), Schtschi (Sauerkrautsuppe) und Pelmeni (Nudelteigtaschen gefüllt mit Schweinehackfleisch) bietet. Im Haus Nummer zwei aber hat eine Dauerausstellung ihre Pforten geöffnet: Das "Museum Alexandrowka Potsdam" - ein erstklassig gestaltetes Schauwerk, das einen Imbiss samt Sitzplätzen unter märkischen Obstbäumen bietet. Finanziert wurde das kleine Wunder von dem westfälischen Augenarzt Hermann A. Kremer, der sich während eines Potsdam-Besuches in die Siedlung verliebte. Der Enthusiast erwarb das Haus Nummer zwei, setzte es denkmalgerecht in Stand und hält das Museum mit der von ihm gegründeten "Potsdam Stiftung Kremer" am Laufen.
Sechs Räume im Original-Wohngrundriss, in denen man sich gut eine Stunde frei von Langeweile unterhalten kann. Der Zar, der König, die Sänger: Das alles wird in dem zweigeschossigen Bau aufs Schönste augenfällig präsentiert. Ziegelherd, Rauchfang, Kachelofen, die Tapeten im Stil der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Alles Fassade
Die Blockhausfront ist nur scheinbar baumstammdick, die russische ist eine preußische Sparsamkeitsfassade: Hinter den Stämmen steht eine Fachwerkwand. Auch die ersten Russen waren nur vordergründig glücklich: zu viel Alkohol, zu wenig Viehfutter. Von Bigamie und rätselhaften Todesfällen berichtet die Chronik. Zwei Original-Sippen sind noch am Ort: die Schischkoffs und die Grigorieffs. Letztere wohnen im Haus Sieben und sieben Namensschilder prangen auch an der Holzwand: für jede Grigorieff-Generation eines. Der jüngste Familienchef heißt also Joachim. In seinen Fenstern zur Straßenfront grüßen neben drei Matroschkas: ein Zwerg, ein Schneewittchen und ein Räuchermännchen - neudeutsche Botschafter einer preußisch-russischen Männerfreundschaft. Farbtupfer eines Kulturdenkmals, das sich - was ja selten geworden ist heutzutage -, aus einem lebendigen sozialen Gedächtnis speist.
Museum Alexandrowka in Potsdam: Die-So 10-18 Uhr