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Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: Zwei Männer und ein Todesfall

Von Christian Eger 25.01.2006, 18:47

Berlin/MZ. - Kein Schuss löst sich

Um 10.29 Uhr rattert die Straßenbahn ins Blickfeld, ein schwarzer Mercedes 320 rollt aus der Gegenrichtung heran. Plötzlich geht alles ganz schnell. Der Mantel fällt, eine Maschinenpistole wird hochgerissen, die auf den Mann hält, der drei Meter entfernt im Fonds des offenen Mercedes-Cabrios mit dem Kennzeichen "SS-3" sitzt.

Doch nichts passiert, kein Schuss löst sich. Der Mann im Visier lässt den Mercedes stoppen, zieht selbst die Pistole: Wieder geschieht nichts, die Waffe ist nicht geladen. Da tritt von außen der zweite Herr hinzu, der eine Handbombe schleudert, die vor dem rechten Hinterrad des Autos explodiert - und fast ihr Ziel verfehlt hätte. Reinhard Heydrich, "Reichsprotektor" in Prag sowie Chef der Gestapo und des Sicherheitsdienstes der SS, stirbt nicht an dem Sprengsatz, der ihn nur mittelschwer verletzt. Vier Tage nach dem Attentat erliegt der 38-Jährige einer Wundinfektion, die von einem Rosshaar ausgelöst wurde, das sich aus der Sitzpolsterung des Wagens gelöst hatte. Ein Attentat, das in seiner Wirkung langsam, aber monströs detoniert: Auf Hitlers Befehl werden die Dörfer Lidice und Lezaky ausgelöscht, hunderte Oberschicht-Tschechen ermordet. Die aus dem englischen Exil eingeschleusten tschechischen Attentäter sterben in der Krypta der orthodoxen Kirche des Kyrill und Methodius in Prag, verraten von einem Genossen.

Das Deutsche Technikmuseum in Berlin präsentiert bis April den Tag X und seine Folgen: "Das Heydrich Attentat", eine aus Prag importierte Schau. Heydrichs Mercedes, Reliquien der Attentäter, die tschechische Rest-Armee im englischen Exil, Dokumentationen zum Alltag in Böhmen vor und während der deutschen Besatzung. Bei allem patriotischen Kult um die Attentäter heutzutage: Die Front der tschechischen Kollaboration mit den Deutschen war breit. Bei aller gängigen Dämonisierung ("Gesicht des Bösen") der Gestalt Heydrich: Die Persönlichkeit des Holocaust-Logistikers ist nahezu unbekannt.

Heydrich, ein Sohn der Stadt Halle: Jahrgang 1904, aufgewachsen in der Gütchenstraße 20, Kind des Komponisten, Sängers und Musikschulbegründers Bruno Heydrich. Ein Mann, dem eine nur nachgesagte, nie belegte jüdische Herkunft einen Platz am Rand der reaktionären Honoratioren-Gesellschaft Halles zuweist. Der geplagt wird von sozialer Abstiegsangst.

Heydrich Junior hingegen: Freikorps in Halle, unehrenhaft aus der Marine entlassen, erfolglos und tatendurstig. Es ist die Mutter, die ihn an Himmler leitet. Heydrich, der aus einer Stadt stammt, die keine politische Mitte kennt. Dem Politik stets als Karriere-Beschleuniger dient. Ein Präzisions-Ingenieur der Macht, die er durch organisiertes Massentöten an sich zieht.

Der Wagen, der rollt

Ein "Mann wie ein Peitschenknall" (Joachim Fest) also, einerseits. Die Schau zeigt auch die musische Gestalt: groß, schlank, Klavierspielerhände, etwas zu rundlich an den Hüften. Sportler, Workaholic und Status-Narziss, sehr fitness-bewegt. Ein Kind der zwischen 1900 und 1910 geborenen "Generation der Sachlichkeit" (Ulrich Hebert). Junge Pragmatiker, die im NS-Staat steile Karrieren absolvierten.

Dieser soziale Umstand macht - bei aller Entschiedenheit im sittlichen Urteil - den Fall Heydrich eigentlich unbrauchbar für volkspädagogische Zurüstungen. Unterm Strich nährt sich die Ausstellung auch mehr vom Sensationellen dieses Mörderlebens und -endes. Der bald geflickte Attentats-Mercedes übrigens fuhr und fuhr: Heydrichs Kumpane bis 1945, dann die Generäle der tschechoslowakischen Volksrepublik, von 1958 an rollte der Wagen für die Filmstudios von Prag-Barrandov. Heydrichs Grabstätte auf dem Berliner Invalidenfriedhof wurde 1945 abgetragen.

Bis April: Berlin, Trebbiner Straße 8, Di-Fr 9-17.30 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr