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Dessau-Wörlitzer Aufklärung Dessau-Wörlitzer Aufklärung: In großer Landschaft

Von Christian Eger 23.04.2008, 18:59

Halle/MZ. - Erhard Hirsch, damals ein Mann von 37 Jahren, berichtet dem halleschen Historiker von seinen nebenberuflichen Forschungen im Blick auf die Dessau-Wörlitzer Aufklärungslandschaft. Neuß hört sich das an und entgegnet, was naheliegt: Wie wäre es mit einer Dissertation? Das habe ihm, erzählt Erhard Hirsch, sofort eingeleuchtet.

"Alles muss rein!"

Von diesem Moment an datiert der mehr als vier Jahrzehnte währende Dienst an der kulturhistorischen und archivalischen Erschließung der Dessauer Aufklärung. Das heißt, jede freie Stunde neben dem halleschen Universitätsdienst den Recherchen zu widmen. Bis auf den Sonntag, der sei, sagt Hirsch, für die Familie immer heilig gewesen. Die Familie: Das ist die 2006 gestorbene Ehefrau Irmgard Hirsch, die die Notate ihres Mannes in die Maschinenschrift überträgt sowie die Kinder Annette, heute Sachgebietsleiterin Baudenkmalpflege der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, und Wolfgang, Arzt in Leipzig.

1969 verteidigt Erhard Hirsch seine Dissertation, die er unter dem Titel "Progressive Leistungen und reaktionäre Tendenzen des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises in der Rezeption der aufgeklärten Zeitgenossen (1770-1815)" vorlegt. Zwei schwere Bände im Din-A-Format: 371 Seiten Text, 176 Seiten Apparat. "Viel zu lang für eine Dissertation", sagt Hirsch. Neuß habe gefordert: "Alles muss rein!" Dabei soll es bleiben. Dieser Tage erst legte Hirsch den vierten Teil der Zeitgenossen-Urteile zu Dessau um 1800 vor. Auch hier: Alles muss rein.

Die Wirkung der Hirsch-Dissertation, die einer ersten, aus den Quellen rekonstruierten Grundlegung der Dessauer Aufklärung gleichkommt, lässt sich kaum überschätzen. Auch im Westen galt das Werk, das erst 2003 veröffentlicht werden konnte, als ein Geheimtipp. Ohne Hirsch, dessen Publikationsliste über 100 Titel zählt, wäre eine Vielzahl der im Blick auf Dessau und Wörlitz vorgelegten Studien nicht auf der Höhe der jeweils verfügbaren Fakten und Akten gewesen, denn er half und hilft kollegial wie kein Zweiter. Und auch das darf man sagen: Ohne Hirsch hätte das Gartenreich nicht den Weltkulturerbe-Status erhalten, jedenfalls nicht bereits im Jahr 2000.

Dabei ist der Dessau-Enthusiast ein gebürtiger Leipziger, trotzdem nennt er Dessau sein "Mutterland". Hier wuchs der Sohn eines Junkers-Elektroingenieurs und einer Stenotypistin im Haus der Großmuter am Friederikenplatz auf. "Ich gehöre zu den Letzten, die das alte Dessau aus der eigenen Anschauung schildern können." Das alte Dessau, das war "das gebildete Flair" einer Stadt, die sich um Kunst und Bildung bemühte. Was Erhard Hirsch als Zeitzeuge sah: die Aufbahrung des Prinzen Wolfgang 1936 im Stadtschloss, Fluss und Auen von der Residenz aus, schließlich auch Hitler auf dem Balkon des Palais' Cohn-Oppenheim, in dem der Gauleiter hauste.

Mit 15 wird Erhard Hirsch zur Flak, im Jahr darauf zur Wehrmacht befohlen, bei Minden gerät er in amerikanische Gefangenschaft, aus der er im Juni 1945 entlassen wird. Von 1948 bis 1953 studiert er Klassische Philologie und Germanistik in Halle, hört bei dem Romanisten Victor Klemperer und dem Kunsthistoriker Wilhelm Worringer. Es sind jene Jahre, in denen Hirschs nach Russland deportierte Eltern als ehemalige Junkers-Mitarbeiter zu dienen haben; erst 1954 kehren sie nach Dessau zurück.

Dessau und Wörlitz, das ist um 1800 der Beleg dafür, dass Hof und Aufklärung eben keine Gegensätze waren, dass es möglich sein kann, eine Gesellschaft mit zivilen Mitteln zu reformieren. "Die Frühklassik in Dessau, die Hochklassik in Weimar, die musikalische Klassik in Wien": Das ist die Formel des Erhard Hirsch, der sich selbst einen "Dilettanten" nennt, weil er kein Examen als Historiker besitzt.

Ein vollbrachtes Werk

Schwer vorstellbar, was es hieß, ein solches Forschungswerk in einer Umgebung zu stemmen, die all dem weder politisch sehr gewogen, noch kommunikationstechnisch gewachsen war. Das bürgerliche Dessau war nach 1945 abgeräumt. Hirsch arbeitete mit Sammlern vor Ort: Das Eigenständige, auch akademisch Eigenwillige seiner Studien rührt daher. Diese sollen nun beendet sein. Er wolle noch leben, sagt der Lakoniker. Also reisen: noch einmal Griechenland. Lesen: die altdeutschen Autoren. Musik hören: die Wiener Klassik. Erhard Hirsch, der am Donnerstag 80 Jahre alt wird, hat eine große Landschaft großartig sichtbar gemacht; diese nicht allein mit Parolen, sondern mit Geist und tätiger Hingabe lebendig zu halten, bleibt eine Aufgabe.

Fest für Erhard Hirsch am Donnerstag 17 Uhr, Aula der Universität