Defa-Filmreihe Defa-Filmreihe: Schicksale von Frauen am Ende der DDR
Halle/MZ. - Nach der Herkunft eines Wortes zu forschen, ist bisweilen nützlich. Der "Politik" zum Beispiel liegt das griechische Adjektiv "politikos" zugrunde, das zwar durchaus "zur Staatsverwaltung gehörend" meint, aber eben auch "den Bürger betreffend". Staatslenkung und persönliches Befinden werden hier als zwei Seiten der gleichen Medaille erkennbar.
Vor diesem Hintergrund war am Sonntag, zum Abschluss der Defa-Filmwoche im halleschen Kino "Lux" - die Diskussion um den politischen Gehalt von Helke Misselwitz' Film "Winter adé" müßig. Denn gerade weil die Regisseurin darin Frauen in der Spät-DDR nach ihrem Privatleben befragte, war das Ergebnis zutiefst politisch.
Helke Misselwitz, die heute an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg lehrt, war Meisterschülerin bei Heiner Carow, arbeitete für das Defa-Dokumentarfilmstudio und hatte 1988 mit "Winter adé" ihren größten Publikumserfolg. Das verwundert ob der unspektakulären, ruhigen Bilder und ist doch verständlich angesichts des kritischen Potenzials von "Winter adé". Denn Helke Misselwitz war angetreten, die "fortwährend besungenen Erfolge der Frauenemanzipation im real existierenden Sozialismus" in Frage zu stellen.
Der Titel suggeriert Aufbruch und Tauwetter. Der Film jedoch ist ein Abgesang auf die DDR, der nirgendwo beredter ist als am Schluss. Schienenstränge enden im Nichts, der Blick versinkt im Meer. Die Schienen stehen für Lebenslinien von Frauen, die die Regisseurin gefilmt hat: Christine Schiele zum Beispiel, die in der Brikettfabrik im Dreischichtenbetrieb Rohre abklopft, allein zwei Kinder erzieht und erklärt, dass sie ihrer geistig behinderten Tochter wegen "als Mensch für untauglich erklärt wird". Träume? "Einmal verreisen würde ich gern", sagt Christine Schiele. "Jetzt ist das zu teuer." Sie blickt wortlos in die Kamera, die Fabrikmaschinen stampfen.
Helke Misselwitz begegnet auch einer etwa 40-jährigen Mitarbeiterin der Berliner "HO Werbung", einer 75-jährigen Tanzlehrerin aus Altenburg sowie zwei 16-jährigen Mädchen, die von zu Hause abgehauen sind. Sie alle offenbaren sich der Regisseurin, vielleicht auch, weil Misselwitz sich mit "ihren" Frauen identifiziert und die eigene Person, die eigene Biographie gar an den Anfang des Films stellt.
Die nicht immer kurzweilige Diskussion im "Lux" mit Organisator Paul Werner Wagner, der Filmwissenschaftlerin Claudia Lenssen und dem Literaturwissenschaftler Matthias Braun verhandelte vorrangig und aus historischer Perspektive das politische Potenzial von "Winter adé". Was heute von dem Film bleibt, sind freilich vor allem persönliche Schicksale. Helke Misselwitz erläuterte das anhand einer damals 85-jährigen Bäuerin aus der Uckermark: "Die DDR war für diese Frau nur eine Station."