Debütroman von Sarah Waterfeld Debütroman von Sarah Waterfeld: Orgien im Bundestag

Halle (Saale)/Berlin - Der Aushilfs-Barkeeper, der im 16. Semester studiert und eigentlich viel lieber Enthüllungsreporter wäre, belauscht den linken Alt-Hoffnungsträger, der eigentlich viel lieber ein richtiger Parteiführer sein würde. In der Wilmersdorfer Altbauwohnung macht sich eine studierte Philosophin fürs Büro fertig. Sie arbeitet als Fraktionsmitarbeiterin im Bundestag, obwohl sie im Grunde ihres Herzens eigentlich den Anspruch hat, die männerdominierte Philosophie endlich mal vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Verkehrte Welt in Berlin, wo das Herz der Republik rund um den gleichnamigen Platz schlägt, an dem der Reichstag steht, das Paul-Löbe-Haus und das Kanzleramt. Syana Wasserbrink, die Heldin von Sarah Waterfelds Debütroman „Sex mit Gysi“, kämpft sich hier durch den obskuren Dschungel der großen Politik: Sie hat einen befristeten Job bei einem linken Bundestagsabgeordneten, sie hat viele nette Kollegen, sie hat Einblick und Durchblick.
Der Roman "Sex mit Gysi" ist im Eulenspiegel-Verlag erschienen; Preis: 19,95 Euro
Und sie ist enttäuscht wie es auch Waterfeld gewesen sein muss, als sie vor einigen Jahren selbst kurzzeitig im Büro des halleschen Linken-Abgeordneten Roland Claus aushalf. Was die 33-Jährige, in Berlin geboren und im Westen der Stadt aufgewachsen, damals erlebt hat, wird auf den 285 Seiten ihres Buches zu einer halbrealen Groteske.
Zwischen Tommy Jauds „Hummeldumm“ und Bruno Jonas’ ätzender Politikerschelte „Vollhorst“ kombiniert Waterfeld wirkliche Ereignisse mit ausgedachten Absurditäten, sie benutzt echte Personen, um sie in eine falsche Kulisse zu stellen, und sie übertreibt in einem Maß, dass Jonathan Lynns klassische Polit-Humoreske „Yes, Minister“ dagegen fast schon wie ein Dokumentarfilm wirkt.
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Dabei ist die Handlung überschaubar, denn es geht hier weniger um Handlung als um Haltung. Syana Wasserbrink ist das Alter ego von Autorin Waterfeld, deren echter Name wirklich nur zufällig wie ein Sarah-Wagenknecht-nahes Pseudonym klingt.
Wagenknecht tritt hier auch selbst auf, als sie selbst, an der Seite von Oskar Lafontaine. Und selbstverständlich als Gegenspielerin von Gregor Gysi, dem beliebten Volkstribun, der unter Sarah Waterfelds Feder freilich zum machtbesessenen Egokraten wird. Ein Mann, durchaus sympathisch. Aber unablässig bemüht, alles um sich her ganz unauffällig zu manipulieren.
Der Reiz des Buches, das mit einer deftigen Szene einsteigt, in der Gysi am Telefon über Gangbangs, Samenraub und Oralverkehr verhandelt, liegt in der schwebenden Ungewissheit darüber, was hier wahr, was übertrieben und was völlig frei erfunden ist. Abhörwanzen im Bundestag? Tatsache. Kokain auf der Parlamentstoilette? Geheimdienstüberwachung? Kein Gerücht.
Der Roman "Sex mit Gysi" ist im Eulenspiegel-Verlag erschienen; Preis: 19,95 Euro
Auch den Streit um die Neubesetzung der Parteispitze, der das zentrale Motiv im Buch liefert, gab es vor drei Jahren tatsächlich. Und Sarah Waterfeld, antikapitalistische Linken und Feministin dazu, war mittendrin. 2012, als sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro Claus saß, kandidierte sie für den Parteivorsitz - wie das ihre Protagonistin Wasserbrink nun im Buch tut.
Doch was bei Waterfeld, von feministischen Freundinnen „Die Peitsche“ genannt, Ergebnis eines Erkenntnisprozesses war, an dessen Ende die studierte Politologin feststellte, dass „die Entscheidungen nicht im Bundestag getroffen werden“ und Politiker in einer linken Fraktion zwar gewisse moralische Ansprüche haben, von denen im politischen Alltag allerdings nichts übrig bleibt, wird im Leben der Buchheldin zu einer Art Marionettenspiel.
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Die naive Syana Wasserbrink, parteilos und ohne politische Ambitionen, wird von einer geheimen Machtgruppe in der Linken auserkoren, den Sündenbock zu spielen, dessen symbolischer Tod die zerstrittene Partei endlich wieder einen soll. Es geht um Sex und Sekt, es geht um Drogen, Verschwörungstheorien, Freimaurerlogen, Betrug und Sado-Maso-Praktiken. Und um die unendliche Leere eines Politikbetriebes, der sich zumindest den Erfahrungen von Sarah Waterfeld zufolge am liebsten mit sich selbst beschäftigt.
Auf der einen Seite sind da die gutbezahlten Abgeordneten, fleißige Arbeiter im Weinberg ihrer Parteien mit Pensionsregelungen und Rückzugsposten. Auf der anderen ihre mehr oder weniger prekär beschäftigten Mitarbeiter, ohne richtig geregelte Arbeitszeiten und mit der sicheren Aussicht, im Fall einer Wahlniederlage umgehend auf der Straße zu stehen.
Der Ton ist lustig, das Tempo hoch. Waterfeld, die ihr Buch in nur sechs Wochen heruntergeschrieben haben will, versteht es, ihre drei Erzählstränge flüssig nebeneinander her plätschern zu lassen. Mal geht es um Gysi, mal um den Langzeitstudenten Ronen, mal um Syana Wasserbrink, die Randfiguren sind flott als Klischeebilder gezeichnet, erfüllen aber ihre Funktion in der überwiegend hanebüchenen Handlung.
Der Roman "Sex mit Gysi" ist im Eulenspiegel-Verlag erschienen; Preis: 19,95 Euro
Wo Nikolaus Breuels Polit-Satire „Schlossplatz, Berlin“ noch die vermeintliche Unfähigkeit der Volksvertreter schilderte, eine modernistische Badelandschaft von Weltrang auf den Berliner Schlossplatz zu bauen, geht es bei Sarah Waterfeld mehr um die Unmöglichkeit, Demokratie unter den Bedingungen der Mediengesellschaft nach demokratischen Spielregeln zu spielen. Waterfeld, die an der Uni Potsdam Vorlesungen zum Thema „Fuck capitalism! - Transmediale Strategien politischer Interventionstraft“ hält, straft solches Versagen, indem sie die aus ihrer Sicht Verantwortlichen nicht nur verulkt, sondern bis hart an den Rand der Satire schmäht.
So lange die Grundidee trägt, so lange amüsiert das. Waterfeld, nach ihrer später glorios gescheiterten Kandidatur für den Parteivorsitz von Kritikern böse „das Häschen von Roland Claus“ genannt, schreibt sich mit knallender Peitsche aus der Niederlage von damals heraus. Derzeit sitzt sie an Teil zwei ihrer galligen Satire. (mz)
