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Das indische Kino jenseits von Bollywood

Von Arda Cankara 10.01.2008, 09:11

Mainz/dpa. - Seit rund fünf Jahren beschäftigt sich die 44-Jährige mit der Darstellungsvielfalt indischer Filme - und das ist viel mehr als nur Bollywood-Kitsch. Schon in den 1950er Jahren habe das indische Autorenkino international Bedeutung erlangt. 1968, nach der Indienreise der Beatles habe die indische Kultur erneut an Popularität gewonnen. In den vergangenen Jahren wuchs dann mit der großen Verbreitung in Deutschland auch die Beliebtheit von indischen Produktionen.

Damit wurde der indische Film für die Filmwissenschaft immer interessanter. «Das Publikum und auch die Studenten reagieren mit großer Begeisterung, aber oft auch mit Unverständnis auf die ganz andere Art, wie in Indien Filme gemacht werden», sagt die Wissenschaftlerin. Mit ihrer Forschungsarbeit über den indischen Film habe sie ihre Interessen verbinden können. Marschall schrieb ihre Doktorarbeit über den Tanz im Drama der Jahrhundertwende und habilitierte über Farbe im Kino. Durch eine Musik-Komödie habe sie das indische Kino für sich entdeckt.

«Bewegung, Rhythmus und Farbgestaltung bilden eine Einheit. Das ist reines Kino», erklärt sie. Die meist musikalischen Produktionen werden mit ihren aufwendigen Kulissen, den reich verzierten Kostümen und ausgefeilten Choreographien zum Leinwandspektakel. «Im Vergleich mit der Virtuosität indischer Filme, gerade bei der Inszenierung von Tanzszenen, wirken amerikanische Musical-Verfilmungen nicht so innovativ», sagt Marschall.

Die Tanz- und Gesangsszenen hätten für die Erzählung außerdem eine zentrale Bedeutung. Nach Marschalls Angaben werden diese als erstes inszeniert und sogar vor dem Erscheinungsdatum des Films vermarktet, beispielsweise über den Musiksender MTV India. Mit den musikalischen Einlagen könnten sich die indischen Zuschauer stark identifizieren. «Das wird vom indischen Publikum besser angenommen. Das Publikum dort ist nicht passiv, sondern singt und spricht mit, und bewirft sogar den Bösewicht auf der Leinwand mit Popcorn», erklärt sie.

Nach Marschalls Angaben ist das indische Kino bei seinen Zuschauern so beliebt, dass amerikanische Produktionen in Indien nur einen Marktanteil von rund fünf Prozent haben. Das kommerzielle «Bollywood» sei aber längst nicht alles, was das indische Kino zu bieten hat. «Die Bandbreite ist so viel größer», sagt die Wissenschaftlerin. Neben romantischen Komödien und Musicals habe das realistische Kino eine lange Tradition. Auch politische Themen wie Terrorismus oder der indisch-pakistanische Konflikt würden in den vielen Filmen thematisiert.

Trotz mancher Neuerungen seien in den Inszenierungen immer noch viele traditionelle Motive aus der indischen Kulturgeschichte, wie beispielsweise aus den großen Epen und Mythologien, zu finden. «Im indischen Film gibt es traditionelle Geschlechterrollen, aber auch starke Frauenfiguren. In der indischen Bildkultur oder im Mythos finden sich viele Vorbilder für starke Figuren wie die Göttin Kali», erklärt Marschall. Besonders in den vergangenen Jahren habe das indische Kino auch westliche Einflüsse aufgenommen und unabhängig davon wieder an künstlerischer Bedeutung gewonnen. Im Gegenzug seien auch viele neuere internationale Filmproduktionen, wie das Filmmusical «Moulin Rouge» (2001) mit Nicole Kidman, stark von der indischen Filmkultur beeinflusst.

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