Coldplay Coldplay: Kuscheln mit den Guten
Halle/MZ. - Es geht auch anders. Man muss nicht lauter sein als alle anderen, nicht hübscher aussehen, nicht superfinster gucken oder in einem megateuren Video mit dem halbnackten Hintern wackeln.
Chris Martin sitzt einfach am Klavier, spielt "The Scientist" und Hände klatschen, Herzen schmelzen, Hitparaden haben wieder einen Hit. Seit 66 Wochen hält sich "A Rush Of Blood To The Head" (etwa: schamrot werden), das zweite Album von Martins Band Coldplay, in den deutschen Charts. Seit vier Wochen bedrängt von "Live 2003", einer Konzert-DVD, dem die Londoner als Dankeschön an ihre Fans eine Extra-live-CD beigelegt haben.
Daheim sind Coldplay Superstars, in den USA dicht davor. Eine verblüffende Bilanz für eine Band, der bescheinigt worden war, ein bisschen zu spät zu kommen. Als das "Parachutes" (Fallschirme) betitelte Debütalbum von Martin, Guy Berryman (bg), Jonny Buckland (git) und Will Champion (dr) erschien, lag der Britpop im Koma. Wer braucht da, fragten die Marketingexperten der Plattenfirmen, noch eine Truppe mit bittersüßen Jungmännerkummer-Songs?
Irgendwo da draußen aber waren sie, die Menschen, die das hymnische "Yellow" hören wollten, "Everything's not lost" und "Trouble", unkalkulierte Lieder mit Tiefgang. Als Chris Martin, inzwischen verheiratet mit Oscar-Preisträgerin Gwyneth Paltrow, schließlich für das Nachfolgewerk politische Texte schrieb und sich in Interviews nicht über Akkordfolgen, sondern über fairen Welthandel unterhalten wollte, hatte das Pop-Geschäft seine neuen Heiligen.
Ein Amt, das Frontmann Martin auf der Bühne mit Charisma und Charme ausfüllt. Der Mann mit der Kippelstimme ist ein leiser Star, der die platten Posen der Branche meidet. Wer hier kuschelt, kuschelt mit den Guten, denen der Song wichtig ist, nicht der Sänger. Ein Verständnis von Rock-Ruhm, das dem von jungen Kollegen wie Fran Healy (Travis) oder Tim Brownlow (Belasco) gleicht. Doch Chris Martin ist mittlerweile auch der Vater von Gwyneth Paltrows erstem Kind - und damit zu einem Thema für Paparazzi geworden. Eine Rolle, aus der er gern fällt: Mehrmals verprügelte der einst als Weichei Geschmähte Fotografen, die seiner Familie aufgelauert hatten.
Für die Fans macht das den 26-Jährigen nur umso liebenswerter. Denn ein echter Bösewicht ist Chris Martin nicht: Gerade erst haben er und seine Band das alte Pretenders-Stück "2000 Miles" neu eingespielt und zum Herunterladen ins Internet gestellt. Der Download kostet zwei Euro, die Einnahmen gehen an ein Aufforstungsprojekt, das sich auch auf der Halde Klobikau bei Merseburg engagiert.