Christina Eichel mag das deutsche Pfarrhaus
Berlin/dpa. - Wenn die Bundeskanzlerin einer Pfarrersfamilie entstammt und der Bundespräsident selbst Pfarrer war, muss das deutsche Pfarrhaus doch das gewisse Etwas haben.
Erst recht wohl, wenn auch der eigene Vater am Sonntag zur Predigt den Talar übergestreift hat, wie der von Christine Eichel. Die Autorin, bekanntgeworden auch durch das umstrittene Plädoyer 2006 für eine «neue Weiblichkeit» mit der TV-Moderatorin Eva Herman, hat eine überwiegend begeisterte Darstellung über «Das deutsche Pfarrhaus» geschrieben.
Die gut 350 Seiten sind kenntnisreich gefüllt, voller interessanter Aussagen Betroffener, weitläufiger historischer Streifzüge und intelligenter Beobachtungen, haben aber auch seltsame Lücken. Überwältigend viele Stimmen prominenter Sprösslinge aus protestantischen Pastorenfamilien hat die 1959 als Landpfarrers-Tochter in Niedersachsen geborene Eichel zusammengetragen. Vom großartigen Aphorismenschreiber Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) über den Lyriker Gottfried Benn (1886-1956) bis zum zeitgenössischen 1968er-Schriftsteller und Büchner-Preisträger F.C. Delius (69): Immer interessante, oft auch kritische Auskünfte zur Pfarrhaus-Herkunft vieler Prominenter sind hier nachzulesen.
Unter dem Strich überwiegen für Eichel deutlich die positiven Züge der durch Martin Luther und die Reformation geschaffenen Kirchen-Institution. Ihr Buch sei «eine Annäherung an den Mythos des deutschen Pfarrhauses» schreibt die Autorin und müht sich vor allem in den abschließenden Kapiteln nach Kräften, dem für viele Zeitgenossen längst verschwundenen Mythos neues Leben einzuhauchen.
Weit unter dem Niveau ihrer sonst absolut lesenswerten und nuancierten Darstellung bleibt Eichel bei langen Lobliedern auf den Ex-Pfarrer und Bundespräsidenten Joachim Gauck, die Pfarrerstochter im Kanzleramt, Angela Merkel, sowie auch auf die wegen Promille am Steuer so überzeugend als Bischöfin abgetretene Margot Käßmann. Richtig seltsam wird es, wenn Eichel mit der Aufregung um kritische Äußerungen Käßmanns zum Afghanistan-Krieg belegen will, «wie ungewohnt es ist, wenn ein Kirchenvertreter unmittelbar politisch Stellung bezieht».
Für jahrzehntelange politische Kontroversen in der evangelischen Kirche nach 1945 über die Verarbeitung der Nazi-Verbrechen, die Wiederbewaffnung, Notstandsgesetze, das Verhältnis zu den Nachbarländern im Osten und auch die Studentenbewegung hat Eichel nur einen einzigen Satz übrig: «Zur aktiven politischen Einmischung konnte es (das Pfarrhaus) sich im Westen Deutschlands nach 1945 nur sporadisch entschließen, und wenn, blieb es meist bei Themen wie Umwelt und Abrüstung, bei denen man auf einen breiten Konsens hoffen konnte.» Kein gerechtes Urteil gegenüber streitbaren Kirchenmännern wie Martin Niemöller, Kurt Scharf, Hellmut Gollwitzer oder Heinrich Albertz. Um nur ein paar Prominente zu nennen.
(Christine Eichel, Das deutsche Pfarrhaus, Hort des Geistes und der Macht, Quadriga Verlag, Berlin, 367 S., 22,99 Euro, ISBN 978-3-86995-040-2)