Cher in Leipzig Cher in Leipzig: Ein Schmetterling in der Zeitschleife
Leipzig/MZ. - Elf Mal wird sie an diesem Abend das Wunder der Wandlung vollziehen, ohne dabei je ihre majestätische Eleganz zu opfern. Und auf der Bühne, die in ihrer Mischung aus Late-Night-Kulisse und Freikirche die Extreme von radikaler Selbstdarstellung und fragloser Verehrung zusammenzwingt, spielen sieben akrobatische Tänzer währenddessen mit den Grenzen der Gravitation. "Wenn ihr etwas Geschmackvolles sehen wollt", hatte die 58-Jährige am Anfang verkündet, "seid ihr hier am falschen Platz." Doch auch das durfte man als Botschaft verstehen, die Widerspruch provozieren wollte. Denn der äußerliche Glanz verstärkt bei ihr nur die innere Strahlkraft.
Natürlich ist Cher eine Puppe - aber keine von der mechanischen Art, die an fremden Fäden tanzt. Vielmehr beschreibt der Begriff hier jenen biologischen Zustand, der dem Schmetterling vorausgeht. Cher ist Hure und Huronin, Heldin und Heilige - und trägt dabei stets die Möglichkeit des Anderen in sich. Ihre Kunst liegt nicht in den vielen Masken, sondern dahinter. Und darum funkeln an ihr sogar die Strass-Steine so kostbar, als wären sie wirkliche Diamanten.
Seit mehr als 200 Konzerten ist sie nun auf "Farewell"-Tour und öffnet dabei allabendlich den Bilder-Schrein der Erinnerung: Cher mit ihrem Ehemann Sonny, dem sie einst ein verliebtes "I got you, Babe" sang und dessen Tod sie 1998 nach Jahren der Trennung schwer erschütterte. Cher mit ihren Duett-Partnern wie Tina Turner und David Bowie, Elton John und den Muppets. Cher als Hollywood-Star in "Silkwood" und "Die Hexen von Eastwick", in "Mondsüchtig" und "Tee mit Mussolini". Cher blond, Cher schwarz, Cher komisch und tragisch ... Es ist eine Karriere, die für drei Leben reichen würde.
Und natürlich sind da die Lieder, mit denen sie den Soundtrack für vier Jahrzehnte lieferte: Von "Bang Bang" bis zu "Strong Enough", von "All I really want" bis zum "Shoop Shoop Song" gibt es noch einmal das süße Drei-Minuten-Glück, das in der Halle fünftausend Herzen trifft. Es ist eine riesige Party unter den Bernsteinlampen am Bühnenportal. Und Cher, die sich aus dem Regenbogen eine Hose geschneidert hat, trägt selbst in der stickigen Hitze noch den Wind im Haar.
Nicht immer sind es ihre eigenen Songs, die da von einer perfekt zurückgenommenen Band untermauert werden - aber immer tragen sie ihre eigene Handschrift. Dass "Love hurts" einst durch Nazareth berühmt wurde, vergisst man dabei ebenso schnell wie Marc Cohns Original von "Walking in Memphis". Am Ende aber stellt die Frau, die selbst ihrer schönen und kräftigen Stimme synthetische Farben beimischt, die Glaubensfrage: "Do you believe". Ja, möchte man rufen - wenn es denn nicht um ihren endgültigen Abschied ginge.
Doch selbst wenn sie die Zeit noch nicht zurückdrehen kann - das Anhalten klappt schon ganz gut.