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Retro-Roman Zurück in die 80er: Regeners „Glitterschnitter“

20 Jahre ist es her, dass Sven Regener mit „Herr Lehmann“ seine Karriere als Schriftsteller startete. In seinem neuen Roman darf Frank Lehmann nicht fehlen. Die Musik spielt diesmal aber woanders.

Von Andreas Heimann, dpa Aktualisiert: 29.09.2021, 15:13
Der Autor und Musiker Sven Regener (2017).
Der Autor und Musiker Sven Regener (2017). Arne Dedert/dpa

Berlin - Sven Regener hat sich irgendwann mal entschieden, Romane nur über die wirklich wichtigen Themen zu schreiben: Freundschaft, Liebe, Kunst und Berlin-Kreuzberg zum Beispiel.

Das ist bei seinem jüngsten Werk „Glitterschnitter“ nicht anders, in dem langjährigen Lesern auch sonst vieles vertraut vorkommt. Dazu gehören die Wiener Straße und das „Café Einfall“ in Kreuzbergs rauerer Ecke SO36, die Aktionskunst der frühen 80er Jahre und viele der Figuren aus früheren Romanen wie „Herr Lehmann“, Regeners literarischem Debüt vor genau 20 Jahren.

Sein Kreuzberg-Epos ist mittlerweile auf viele hundert Seiten angewachsen. Ein bisschen kompliziert ist das alles, weil der inzwischen 60-jährige Autor, ansonsten bekannt als Gründer, Sänger und Trompeter der Indieband Element of Crime, nicht einfach Roman für Roman chronologisch hintereinander wegerzählt. Sein Erstlingswerk spielt im Mauerfalljahr 1989, „Der kleine Bruder“ (2008) im November 1980, „Magical Mystery“ (2013) Mitte der 1990er Jahre, „Wiener Straße“ (2017) wieder 1980. „Glitterschnitter“ knüpft direkt daran an.

Die Gestalten, die die „Glitterschnitter“-Welt bevölkern, sind überwiegend alte Bekannte: Frank Lehmann ist natürlich wieder dabei, steht aber nicht im Mittelpunkt, dafür oft an der Kaffeemaschine und experimentiert mit verschiedenen Techniken, Milch aufzuschäumen. Und nebenbei rettet er das Leben eines einsamen Ex-Polizisten - mit Unterstützung von Chrissie, die genau wie Frank Lehmann im „Café Einfall“ jobbt. Die beiden werden sich immer sympathischer.

Stress hat Chrissie dagegen mit ihrer Mutter Kerstin, deren Abstecher aus Schwaben nach Kreuzberg aus Sicht der genervten Tochter schon viel zu lange dauert. Auch Kerstins Bruder Erwin Kächele, der Besitzer des „Café Einfall“, ist erneut mit dabei - diesmal als verunsicherter werdender Vater, der staunend zusieht, wie seine Kneipe zum rauchfreien Schwangeren-Treff wird. Auch die aus dem vorigen Roman wohlbekannten Künstler tauchen auf, Kacki zum Beispiel und H.R. Ledigt, der ausgiebig damit experimentiert, aus einer Ikea-Zimmereinrichtung Objektkunst zu machen.

Den Fokus legt Regener aber auf Glitterschnitter, die Band, die Karl Schmidt, Ferdi und Raimund gegründet haben und mit der sie nun groß rauskommen wollen. Ihr Ziel ist ein Auftritt beim Berliner Wannsee-Festival Wall City Noise. Um sich von der Konkurrenz lautstark abzuheben, kommt dabei als akustisches Markenzeichen der Band eine Bohrmaschine zum Einsatz.

Wenige Schriftsteller gehen mit ihren Figuren so liebevoll um wie Regener, auch wenn er ohne jede Nostalgie auf die frühen 80er Jahre zurückblickt. Das Panoptikum an Gestalten in seinem Werk wird immer facettenreicher. „Manchmal verliere ich den Überblick, aber mehr so bei Details“, sagt Regener. „Wie war nochmal der richtige Name von Kacki, sowas. Also genauso wie im richtigen Leben.“ Die Personen seien ihm aber so vertraut, dass er keine Probleme habe, sie auseinanderzuhalten. „Wahrscheinlich sind es eh abgespaltene Versionen meiner eigenen multiplen Persönlichkeit.“

Und wohin schickt Regener Frank, Chrissie, Erwin, H.R. Ledigt und all die anderen beim nächsten Mal? „Wenn ich das wüsste, wie es weitergeht ... nun ja, dann könnte ich jedes Jahr einen Roman raushauen“, sagt Regener. „Leider muss ich nach einem Buch immer erst einmal länger über sowas nachdenken.“ Ob der nächste Roman wieder in den frühen 80ern spielt oder zeitlich mal einen großen Sprung macht? „Es ist alles möglich, das macht frei und glücklich, vor allem führt es aber dazu, dass man sich schwer entscheiden kann.“

- Sven Regener: Glitterschnitter. Galiani Berlin, 469 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-86971-234-5.