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Literatur-Tipp Roadtrip mit Mama: Roman über Familie und Selbsterkenntnis

Ein Familienurlaub kann herausfordernd sein. Auf der Reise von Mutter und Sohn in Matthias Nawrats neuem Roman wird viel Beziehungsarbeit geleistet - ruhig erzählt, nachdenklich und unterhaltsam.

Von Eva Krafczyk, dpa Aktualisiert: 29.09.2021, 15:13
Der Autor Matthias Nawrat nimmt seine Leserschaft mit auf eine Reise.
Der Autor Matthias Nawrat nimmt seine Leserschaft mit auf eine Reise. Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Frankfurt/Main - Ein Familienurlaub, das wissen die meisten, kann eine Herausforderung sein. So viele Erwartungen, dass die schönsten Wochen des Jahres eine gelungene Erfahrung sein müssen, bei allen unterschiedlichen Persönlichkeiten und Interessen.

Handelt es sich dann noch um erwachsene Kinder und ihre Eltern oder einen Elternteil, kann die Herausforderung noch größer sein. Da wird eine Menge Gepäck aus der Vergangenheit mitgeschleppt und projiziert. In Matthias Nawrats Roman „Reise nach Maine“ ist das nicht anders.

Unausgesprochene Gefühle

Wie viel daran autobiografisch ist, wird nicht erzählt. Doch der Ich-Erzähler, der mit seiner Mutter zu einer Reise in die USA aufbricht, ist wie der Autor Schriftsteller, stammt aus einer Familie, die aus dem ostmitteleuropäischen Raum nach Deutschland ausgewandert ist und nun in einer Kleinstadt lebt. Nawrat wurde 1979 im polnischen Oppeln geboren und kam als Zehnjähriger nach Bamberg.

Es sind die unter der Oberfläche liegenden, oft unausgesprochenen Emotionen, die diesen ruhig erzählten, mal nachdenklichen, mal unterhaltsamen Roman prägen: Die Reise von Mutter und Sohn ist auch ein Experiment einer Beziehung und ein Stück Selbsterkenntnis. Der Schriftsteller hat die Reise vorgeschlagen, weil seine Mutter immer wieder behauptete, weder er noch sein Bruder verbrächten gerne Zeit mit ihr, sie fühle sich von den Söhnen nicht gemocht. Alles Einbildung? Ein wenig erschrocken stellt der Erzähler fest, dass er die zunächst geplante zweite Woche, in der er allein unterwegs sein wollte, als eine Art Belohnung für eine Woche gemeinsam mit der Mutter in New York betrachtete.

Als die Mutter dann nicht nur gleich am ersten Abend in der Ferienunterkunft stürzt und mit einer blutenden Nase in die Notaufnahme muss, mischen sich Sorge und Groll: Er hat sich das alles anders vorgestellt. Ist die nicht mehr junge, niemals sehr weit gereiste Mutter nicht eine Art Bremsklotz?

Schuldgefühle und Chancen

Doch für die Mutter, die nun erst recht keine Belastung sein will, ist die Krise auch eine Art Befreiungsschlag: Ihr lädierter Anblick ist eine Art Eyecatcher für Begegnungen mit Fremden, sie erstaunt sowohl sich als auch ihren Sohn mit immer rapideren Englischfortschritten und nicht zuletzt führt der Unfall zum engeren Kontakt mit der Nachbar- und Vermieterfamilie, deren Sohn passenderweise Arzt ist.

Missverständnisse und Schuldgefühle („Ich verderbe dir den Urlaub“), alte Ressentiments, der Versuch der beiden, die Mutter-Kind-Beziehung auf eine gleichwertige Erwachsenenebene zu justieren - der Roadtrip mit der Mama hat seine Herausforderungen wie auch seine Chancen. Der Schriftsteller muss feststellen, dass seine so provinzielle Mutter dem fremden Land und den Menschen dort teils unvoreingenommener begegnet als er. Er ist ungehalten mit sich selbst, als er merkt, wie sehr es ihn in der Nachbarschaft der New Yorker Unterkunft auf einmal irritiert, dass sie die einzigen weißen Gesichter weit und breit sind.

Von der Metropole bis ins Hinterland geht die Reise, und es sind die kleinen Erlebnisse und Eindrücke am Straßenrand, in Motels und schäbigen Läden, die Zufallsbegegnungen, die den Mutter-Sohn-Alltag begleiten, auf unspektakuläre und irgendwie entschleunigte Art. Reisen haben bekanntlich oft auch etwas mit einer Reise zu sich selbst zu tun - in diesem Fall auch mit einer Reise in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Beziehung zwischen Mutter und Sohn.

- Matthias Nawrat, Reise nach Maine, Rowohlt Verlag 2021, 218 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-498-00231-2.