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Essen, beten, überleben Elina Penners Debütroman „Nachtbeeren“

Elina Penner erzählt vom Aufwachsen als Aussiedlerin und Mennonitin in der ostwestfälischen Provinz. Ihr gelingt eine berührende Familiengeschichte und Analyse von Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Von Christina Sticht, dpa Aktualisiert: 18.05.2022, 12:29
Die Autorin Elina Penner erzählt vom Ankommen in Ostwestfalen.
Die Autorin Elina Penner erzählt vom Ankommen in Ostwestfalen. Kai Senf/Aufbau Verlag/dpa

Minden - Aussiedler, Spätaussiedler, Russlanddeutsche: Die Menschen mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion werden in Deutschland oft als eine Gruppe betrachtet, dabei unterscheiden sie sich immens.

Elina Penner zum Beispiel kam 1991 als Vierjährige mit ihrer Familie nach Ostwestfalen, ihre Muttersprache ist Plautdietsch. Russisch wurde in ihrer Familie nicht gesprochen. Penners kürzlich erschienener Debütroman „Nachtbeeren“ gibt einen Einblick in die Community der Mennoniten. Eine wichtige Rolle spielen Familientreffen und üppiges Essen - oft auch hochprozentige Getränke und das Bethaus.

Makaber-komische Szenen

Im Zentrum steht der Gedankenfluss der Ich-Erzählerin Nelli Neufeld, der seit dem Tod ihrer geliebten „Öma“ der Boden unter den Füßen entgleitet. Ihre Ehe war nie gut und ist jetzt endgültig kaputt, glücklich war sie vielleicht zuletzt als Kind beim Spielen hinter den Häusern mit den Notwohnungen.

Elina Penner erzählt vom Ankommen in der Bundesrepublik, in Rückblenden tauchen Bilder aus dem Leben in der Sowjetunion auf. Die Sätze sind kurz und treffend, viele Szenen makaber-komisch. „Ohnse“ sind die eigenen Leute, „die Hiesigen“ die gebürtigen Ostwestfalen, die schon mal ihrer Aussiedler-Putzfrau die übrig gebliebenen geschmierten Brötchen vom Landfrauen-Teffen überlassen.

Die Autorin lebte in den USA und Berlin, vor ein paar Jahren kehrte sie mit ihrer Familie aufs Land in den Kreis Minden-Lübbecke an der Grenze zu Niedersachsen zurück. In Deutschland leben etwa 200 000 der weltweit 500 000 Plautdietsch sprechenden evangelisch-freikirchlichen Mennoniten, der Großteil davon in Ostwestfalen. Anders als ihre Romanfigur Nelli ist Elina Penner nicht getauft und bekehrt. „Meine Familie ist mennonitisch, aber nicht alle sind aktive Mitglieder der Gemeinde“, erklärt sie.

Dass sie Schriftstellerin wurde, habe auch mit Olga Grjasnowa zu tun, sagt die 35-Jährige. Grjasnowa wurde in Baku geboren und hat russisch-jüdische Wurzeln. Sie kam im Alter von elf Jahren nach Deutschland und wurde 2012 für ihr Romandebüt gefeiert. Zuvor habe sie sich so eine Karriere für sich selbst kaum vorstellen können, erzählt Penner. „Allerdings weiß ich oft nicht: Ist das so, weil ich Aussiedlerin bin oder weil ich Arbeiterkind bin oder weil ich Dorfkind bin?“

Elina Penner: Nachtbeeren, Aufbau Verlag, 248 Seiten, 22 Euro, ISBN-13 978-3351039363