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Bestseller „Der Magier im Kreml“: Roman über Putins früheren Berater

Im Zentrum dieses gefeierten französischen Romans steht ein Mann, der Putins früherem Chefberater Wladislaw Surkow nachempfunden ist. Was erwartet die Leser?

Von Sibylle Peine, dpa 29.03.2023, 16:02
Der russische Staatspräsident Wladimir Putin (l) und sein Berater Wladislaw Jurjewitsch Surkow, aufgenommen beim Ukraine-Gipfel im Bundeskanzleramt (2016).
Der russische Staatspräsident Wladimir Putin (l) und sein Berater Wladislaw Jurjewitsch Surkow, aufgenommen beim Ukraine-Gipfel im Bundeskanzleramt (2016). Michael Kappeler/dpa

Berlin - Wladislaw Surkow war lange Zeit Putins graue Eminenz. Manche nannten ihn auch Putins Rasputin. In jedem Fall war er ein begnadeter Spindoktor und Strippenzieher. Der Chefideologe des Putinismus gilt als Erfinder der hybriden Politik und Kriegsführung, die zu einem Markenzeichen von Putins Herrschaftsstil wurde. Surkow war früher auch Architekt der russischen Ukraine-Politik. 2020 wurde er aber überraschend als Präsidenten-Berater entlassen. Jetzt feiert diese vielleicht schillerndste Gestalt aus dem Putin-Kosmos als Wadim Baranow eine Wiederauferstehung in Giuliano da Empolis Roman „Der Magier im Kreml“. Denn der Protagonist dieses fiktionalen Texts ist Surkow nachempfunden.

Das vor dem Ukrainekrieg verfasste Buch wurde in Frankreich zu einem gefeierten Bestseller. Nach einjährigem Krieg liest sich die deutsche Fassung jetzt noch einmal mit ganz anderen Augen: als prophetische Analyse des Putinismus und eines Herrschers, der sich letztlich durch den Krieg definiert. „Das Reich des Zaren wurde aus dem Krieg geboren, und es war nur folgerichtig, dass es am Ende wieder zum Krieg zurückkehrte.“ Putin wird in dem Roman fast durchgehend als Zar bezeichnet, ein Politiker, der die imperialistische Tradition Russlands fortführt.

Der Autor als Analyst der Macht

Für da Empoli ist es das erste fiktionale Werk. Er ist eigentlich Politikwissenschaftler, war Berater des früheren italienischen Ministerpräsidenten Renzi und leitet einen pro-europäischen Think Tank. Er selbst sieht sich nicht als Russlandspezialist, sondern als Analyst der Macht. Mit Baranow hat er eine faszinierende Figur geschaffen, einen feinsinnigen und zynischen Intellektuellen, der sich mit Geschick und Glück durch die chaotischen postsowjetischen Jahre bis in die innersten Machtzirkel Putins hineinbewegt.

Baranow ist nicht der Mann fürs Grobe, sondern für den feinziselierten Zweikampf: perfide Täuschung, raffinierte Manipulation, das Spiel mit Masken und Tricks, bis die Gegner maximal verwirrt sind. „Sie werden verrückt werden, sie werden nichts mehr verstehen. Sie werden nicht mehr wissen, wem oder was sie glauben sollen! Das Einzige, was sie verstehen werden, ist, dass wir in ihr Gehirn eingedrungen sind und mit ihren neuronalen Schaltkreisen spielen, als wäre es einer deiner Spielautomaten!“

Reise durch die Geschichte Russlands

Für westliche Leser ist der Roman auch eine lehrreiche und amüsant erzählte Reise durch die Geschichte Russlands der letzten 30 Jahre. Viele unterschiedliche historische Figuren tauchen auf, einstige Mitstreiter, dann Gegenspieler Putins wie die Oligarchen Boris Beresowski und Michail Chodorkowski, die von ihm wie Schachfiguren hinweggefegt wurden. Ihr Schicksal ist im Buch mit dem von Baranow eng verzahnt. Allerdings verschwinden sie aus der Geschichte, während er immer höher steigt. Es gibt einige schön erzählte Schlüsselszenen. Der Untergang Jelzins wird geradezu slapstickartig in einer Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton geschildert. Als der Russe sturzbetrunken durch die Gegend torkelt, lacht Clinton sich tot und klopft ihm kumpelhaft auf die Schultern: „Eine ganze Nation, hundertfünfzig Millionen Russen, versinkt beim Anblick des wilden Gelächters des amerikanischen Präsidenten vor Scham im Erdboden.“ Solche peinlichen Auftritte sollte es unter Putin nie wieder geben. Eine andere historische Szene dokumentiert im Roman Putins eiskalte Verwandlung. Es ist der Augenblick, als er Angela Merkel, die große Hunde bekanntermaßen fürchtet, direkt mit seinem Labrador konfrontiert: „Das war der Moment, in dem der Zar beschloss, seine Handschuhe auszuziehen und mit dem Spiel zu beginnen, so, wie er es in den Kursen in Leningrad gelernt hatte...“

Ironischerweise bleibt der Labrador nach Baranows Abgang am Ende als einziger Berater des Präsidenten übrig, „dem Putin voll und ganz vertraut.“ Empolis Idee, sich die Welt und die Gedanken eines Mächtigen durch die Figur eines Vertrauten oder Beraters zu erschließen, ist nicht wirklich neu, im Fall Putins aber sehr ergiebig. Denn wer möchte nicht in seinen Kopf blicken? Aus heutiger Sicht muss man sagen: Dieser Roman hat sich als hellsichtiger erwiesen als so manches Sachbuch vermeintlicher Russlandkenner.

- Giuliano da Empoli: Der Magier im Kreml, C.H Beck Verlag, 265 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-406-79993-8.