Gefangen im Krieg Als die Wehrmacht den „Russlandfeldzug“ begann
Vor 80 Jahren begann die Wehrmacht den sogenannten Russlandfeldzug. In Berlin-Karlshorst wird jetzt an den Überfall auf die Sowjetunion erinnert.

Berlin/Halle (Saale) - Es ist an der Zeit gewesen, diese Wahrheit einmal mit höchster Autorität auszusprechen: „Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei“, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dieser Tage in Berlin gesagt. So ist es gewesen, vor Jahren schon hatte die umstrittene Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung darauf aufmerksam gemacht. Aber man ist auch schnell dabei, zu vergessen. Und manche wollen sich schon nur noch der deutschen Opfer des Krieges erinnern, den die Deutschen doch begonnen haben.
Hitlers Plan für den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion stand lange fest, bereits am 31. Juli 1940 hatte „der Führer“ dem Oberkommando der Wehrmacht seinen Entschluss mitgeteilt und befahl im Dezember, die militärische Vorbereitung des Überfalls unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ entsprechend voranzutreiben. Die „Abtretung“ der Sudeten und die „Blitzkriege“ gegen Polen im Osten sowie die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich im Westen Deutschlands hatten Hitler und seinen Gefolgsleuten offenbar das rauschhafte Gefühl von Unbesiegbarkeit vermittelt.
Am 22. Juni 1941, vor 80 Jahren, begann der „Russlandfeldzug“, für die Angegriffenen war und ist es der Große Vaterländische Krieg, in dem es um Sein oder Nichtsein ging. Er hat Opfer in zweistelliger Millionenzahl auf beiden Seiten gefordert, wobei die UdSSR mit 27 Millionen Toten, Soldaten und Zivilisten, den ungleich größeren Anteil zu tragen hatte. Deutschland verlor etwas mehr als sechs Millionen Menschen, davon etwa fünf Millionen Soldaten. Dass jeder dieser Toten auf beiden Seiten einer zu viel war, haben bis auf nationalsozialistische Revisionisten wohl alle begriffen. Den meisten der heimgekehrten Deutschen war klar: Alles, aber nie wieder Krieg.

In furchtbaren, verlustreichen Schlachten wendete sich der anfängliche Erfolg der Wehrmacht, die zunächst überrumpelte Rote Armee brachte die Angreifer zum Stehen: vor Moskau, dann in Stalingrad. Um die Jahreswende 1942/43 war klar, dass Hitler und seine Generäle sich verschätzt hatten. Die Geschlagenen von Stalingrad gingen in die Gefangenschaft, die Toten beider Seiten blieben zurück. Eine monumentales Gedenkstätte erinnert im heutigen Wolgograd an die eigenen Kämpfer, dazu erklingt in Dauerschleife die „Träumerei“ des deutschen Komponisten Robert Schumann. Man kann dies auch als eine Geste verstehen, die gefallenen Feinde jedenfalls nicht auszuschließen von der Trauer. Insgesamt mehr als drei Millionen deutsche Soldaten kamen in sowjetische Kriegsgefangenschaft, ein Drittel von ihnen ist an Hunger oder Krankheiten gestorben.
Keine vererbte Schuld, aber vererbte Verantwortung
Im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst, jenem Ort, wo 1945 in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai die deutsche Generalität bedingungslos vor den Alliierten kapitulierte, wird jetzt erstmals explizit an das grausame Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland erinnert. Fast sechs Millionen waren es insgesamt, mehr als drei Millionen von ihnen sind umgekommen.
Dieses schlimme Geschichtskapitel ist in Deutschland, etwa in der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar, schon thematisiert worden. In dem ehemaligen Konzentrationslager waren tausende sowjetische Gefangene unmenschlich gequält und viele von ihnen ermordet worden.
Und jene, die der Hölle entkamen? Auf russischer Seite hat es lange Zeit gebraucht, um eine Position zu deren tragischer Situation zu finden. Von Seiten des Museums Karlshorst wird zurückhaltend formuliert, noch immer: „Nach ihrer Befreiung waren die in die Sowjetunion zurückkehrenden Überlebenden mit dem Misstrauen der Behörden konfrontiert. Sie standen unter dem Generalverdacht des Verrats und wurden jahrzehntelang gesellschaftlich benachteiligt.“ Tatsächlich kamen viele der ehemals in Deutschland Internierten in ihrer Heimat erneut in Lagerhaft.
Aber diesem, dem stalinistischen Teil ihrer Geschichte müssen sich die Russen selbst stellen. Als Deutscher ist man gut beraten, die Taten der eigenen Väter und Großväter nicht zu vergessen. Schuld wird zwar nicht vererbt, Verantwortung allerdings schon. (mz)
Das Deutsch-Russische Museum: https://www.museum-karlshorst.de/