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Brecht ohne Lehrstück: Thalheimer inszeniert «Puntila» in Hamburg

Von Carola Große-Wilde 12.03.2007, 10:41

Hamburg/dpa. - Hamburg  - Das Stück beginnt in absoluter Dunkelheit. Dann schwillt eine betörende, schwermütige Musik an. Ein Mann in schwarzer Hose, leicht geöffnetem weißen Hemd, mit loser Fliege und in grünen Gummistiefeln steht reglos am Bühnenrand. In der rechten Ecke windet sich eine dunkle Gestalt am Boden.

Sie röchelt. Das ist alles, was man hören kann. Dann minutenlange Stille, bis es kaum noch zum Aushalten ist. Wir sehen Brechts «Puntila»: einsam, verlassen, zurückgeworfen auf sich selbst. Doch im Suff erkennt er sein eigenes Schicksal nur allzu klar: «Warum kannst du dich nicht zusammennehmen, du schwacher Mensch?» Und er weiß genau, wer seine Rettung ist: sein Knecht Matti, den er wenig später innig umarmt.

Michael Thalheimer, Kandidat mit guten Chancen für die Nachfolge von Intendant Ulrich Khuon am Hamburger Thalia-Theater, zeigte dort Brechts «Herr Puntila und sein Knecht Matti» als fesselnde Charakterstudie - ganz ohne Lehrstück. «Das Stück ist für ein Lehrstück viel zu assoziativ und ambivalent. Die soziale Hierarchie ist nur ein Teilaspekt. Eine klare Aussage darüber, was abgeschafft oder überwunden werden soll, über Gut und Böse, findet sich nicht so leicht», sagte der 41-Jährige im Vorfeld. Für ihn hat «Puntila» sogar viel mit Brecht gemeinsam («Brecht soll ja auch sehr zerrissen, sehr ambivalent gewesen sein»). Für seine 2-Stunden-Version erhielten die Schauspieler begeisterten Applaus, der Regisseur musste neben viel Beifall auch ein paar Buhs hinnehmen.

Norman Hacker, vor kurzem mit dem Rita-Tanck-Glaser-Preis der Hamburgischen Kulturstiftung ausgezeichnet, spielt den «Puntila» mit größter Intensität als einen zerrissenen Menschen, der sich selbst nicht leiden kann, weil er sich nicht in der Lage sieht, seine Ideale zu erfüllen und deshalb dem Suff verfällt («Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach»). Er braucht seinen Knecht, weil der «ein gutes Herz hat» und weil er so sein möchte wie er: «Davon träum ich, dass ich nichts hätt.» Voller Lebensgier und Verzweiflung schmeißt er sich ihm an den Hals, ebenso wie den drei Frauen, die er gleich alle auf einmal heiraten möchte. Andreas Döhler überzeugt als sein ruhiger Gegenpart, der die Willkür und diktatorischen Befehle seines Herrn ausführen muss, obwohl er ihm eigentlich überlegen ist.

Thalheimer konzentriert das Stück auf die beiden Hauptdarsteller, etliche Nebenfiguren wurden gestrichen. Neben der Tochter (Katrin Wichmann) treten noch der Richter (Markus Graf), der Attaché (Ole Lagerpusch), der Probst (Hartmut Schories) und die drei Frauen (Anna Blomeier, Leila Abdullah und Anna Steffens) auf. Alles Folkloristische und fast alle Requisiten wurden entfernt, die Bühne (Henrik Ahr) besteht lediglich aus zwei drehbaren kahlen Wänden. Zwischen den einzelnen Szenen ertönt die beklemmende Musik von Bert Wrede. Vor diesem Hintergrund kommen die inneren Konflikte der Figuren besonders gut zur Geltung, weil nichts Überflüssiges stört - auch beim Text wurde einiges gestrichen. Ein Wasserstrahl von oben für Trunkenheit, eine Kaffeetasse für Nüchternheit - ansonsten verlässt sich der Regisseur auf die Darstellungskraft seiner Schauspieler.

www.thalia-theater.de (dpa)