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Bildband zu Mecklenburg-Vorpommern Bildband zu Mecklenburg-Vorpommern: Architekturperlen an der Ostsee

Von Kai Agthe 17.05.2015, 13:58
Ein Traum von einem Haus am Meer: Die Villa Oppenheim in Heringsdorf, die einst auch Stasi-Minister Mielke bewohnte.
Ein Traum von einem Haus am Meer: Die Villa Oppenheim in Heringsdorf, die einst auch Stasi-Minister Mielke bewohnte. Thomas Grundner Lizenz

Halle (Saale) - Entlang der Küstenlinie von Mecklenburg und Vorpommern sind sie in allen Variationen zu bestaunen: Aufwendig gestaltete und meist aus der Gründerzeit nach 1870 stammende Villen. Die Gesamtheit dieser Edel-Immobilien an der Ostsee wird von Kunsthistorikern als „Bäderarchitektur“ bezeichnet. Denn in diesen Anwesen nehmen jene Gäste Quartier, die vor einem Jahrhundert als Sommerfrischler bezeichnet worden sind und die heute Urlauber heißen.

Von Ahlbeck bis Boltenhagen: Die Zahl sehenswerter Beispiele für Bäderarchitektur ist so groß, dass man schon sehr lange Ferien haben müsste, um sie auch nur in Auswahl sehen zu können. Was der Liebhaber der Ostseebäder selbst nicht leisten kann, das bietet der im Rostocker Hinstorff-Verlag erschienene Bildband „Bäderarchitektur“, der die Vorfreude auf den nächsten Ostsee-Aufenthalt heben kann. Zu den Texten von Reno Stutz hat Thomas Grundner wundervolle Fotografien beigesteuert. Im Laufe eines Sommers hat er mit viel Augenmerk die schönsten Bäderarchitekturen aufs Bild gebannt. Die Auswahl dürfte dem Fotografen nicht leicht gefallen sein, denn allein auf Rügen stehen 300 und auf der Insel Usedom sogar mehr als 500 Gebäude der Bäderarchitektur unter Denkmalschutz.

Ihren Ausgangspunkt nahm diese Architekturrichtung in Heiligendamm bei Bad Doberan. Dort wurde 1794 das erste deutsche Seebad gegründet, das auch das älteste in Kontinentaleuropa ist. Wer den Ort bis dahin nicht kannte, lernte ihn als Austragungsort des G8-Gipfels im Jahr 2007 kennen, wo die Regierungschefs zum Familienfoto in einem weißen XXL-Strandkorb Platz nahmen. Ob die Akteure ein Auge für das großartige Ensemble an klassizistischer und historistischer Bäderarchitektur hatten, ist nicht belegt. Dabei ist Heiligendamm auch der Geburtsort des Bäderstils.

Grundstein des deutschen Seebäderwesens

Der Rostocker Mediziner Samuel Gottlieb Vogel war es, der 1793 Herzog Friedrich Franz I. den Vorschlag unterbreitete, bei Doberan ein Seebad zu errichten. Der Landesherr stimmte zu. Damit war der Grundstein des deutschen Seebäderwesens gelegt. Anregungen dafür hatte Vogel auf Englandreisen sammeln können, wo bereits 1730 die erste Seebadeanstalt gegründet worden war. In der ersten Badesaison 1794 kamen 308 Gäste nach Heiligendamm, um 1830 waren es schon 2 000.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Heiligendamm ein einzigartiges Ensemble im Bäderstil. Das klassizistische Kurhaus mit seiner dorischen Säulenordnung zieht die Blicke ebenso auf sich wie die zwischen 1845 und 1848 im englischen Tudorstil errichtete „Burg Hohenzollern“. Diese und auch das Haus Mecklenburg, die Orangerie sowie das (heutige) Grandhotel sind ganz in Weiß gehalten, so dass man bald von der „Weißen Stadt am Meer“ sprach.

Vorbildhaft war Heiligendamm auch für das Städtchen, das Fürst Malte von Putbus ab 1817 auf Rügen realisierte. Sein Ziel: die Errichtung eines adligen Luxusbades (Lauterbach mit dem Badehaus „Goor“) und einer Residenzstadt in klassizistischer Formensprache. Das Zentrum von Fürst Maltes weißer Stadt Putbus ist der „Circus“ genannte Rondellplatz (1828-1845). Der Terminus Bäderarchitektur bezeichnet – im Gegensatz zu anderen Baustilen – weder eine Stilrichtung noch eine spezifische Baugattung, sondern stellt ein Sammelsurium an architektonischen Kunststilen dar.

„Er steht für eine verwirrende Vielfalt an Stilen und Gestaltungselementen, die auf das saisonale Leben und die Ansprüche des Bäderpublikums ausgerichtet sind“, notiert Reno Stutz. „Mittlerweile ist eine weitere Komponente hinzugekommen: die der Sehenswürdigkeit.“ Viele markante Bäderstil-Villen konzentrieren sich in den drei Kaiserbädern auf Usedom, sprich: Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Friedrich Wilhelm IV. soll Heringsdorf geliebt, die deutsche Kaiserfamilie Ahlbeck bevorzugt haben.

Von den drei Kaiserbädern galt nach 1900 Heringsdorf als das mondänste. Was sich auch an den Häusern ablesen lässt, die sich Unternehmer und Bankiers als Sommerresidenzen errichten ließen. Aus der Fülle an exklusiven Bauwerken ragen in Heringsdorf zwei besonders heraus: die Villa Oechsler und die Villa Oppenheim, die beide in der Delbrückstraße zu finden sind. Die gefielen auch dem expressionistischen Künstler und späteren Weimarer und Dessauer Bauhausmeister Lyonel Feininger, der bei seinen Usedom-Aufenthalten zwischen 1908 und 1912 nicht nur in der Villa Oppenheim Quartier bezogen, sondern diese auch wiederholt gezeichnet hat.

Neoklassizistisch-puristischer Entwurf

Der 1883 im Auftrag des Berliner Bankiers Benoit Oppenheim sen. (1842-1931) errichteten und reinweiß gestrichenen Villa Oppenheim liegt ein neoklassizistisch-puristischer Entwurf zugrunde. Nach der Enteignung des jüdischen Besitzes durch die Nazis nutzte die Heringsdorfer NSDAP das Gebäude als Ortszentrale. Zwischen 1945 und 1950 fungierte das Haus als Kureinrichtung für Offiziere der Roten Armee, ehe das Ministerium für Staatssicherheit die Villa Oppenheim als Erholungsheim und Gästehaus requirierte. Stasi-Minister Erich Mielke verbrachte hier gern seine Sommerferien.

Heute ist die Villa Oppenheim mit ihren von dem international tätigen Berliner Architekturbüro „Pott Architects“ entworfenen Luxus-Ferienwohnungen fraglos eine der exklusivsten Unterkünfte an der gesamten Ostseeküste. Spätestens hier, vor der Villa Oppenheim an der Strandpromenade von Heringsdorf, bekommt man eine Ahnung, warum die drei Kaiserbäder Anfang des 20. Jahrhunderts „pommersche Riviera“ genannt wurden.

Im Gegensatz zu Heringsdorf und Ahlbeck stand Bansin nie in dem Ruf, ein Tummelplatz der reichen Sommerfrischler zu sein. Dafür hat es der Ort dank Hans Werner Richter (1908-1933) in die deutsche Literatur gebracht. Der Gründer der „Gruppe 47“ wurde in Bansin geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg im fernen München lebend, blieb er dem Ostseestrand immer nahe. In seinem Roman „Spuren im Sand“ sowie in dem ebenfalls autobiografischen Erzählungsband „Geschichten aus Bansin“ hat er von dem Leben auf Usedom im frühen 20. Jahrhundert berichtet, als das 1890 gegründete Bansin – das damit eines der jüngsten an der Ostseeküste ist – noch ein Fischerdorf war. Doch in nur wenigen Jahren entwickelte sich hier ein florierendes Badewesen, entstanden auch hier entlang des Strandes stattliche Villen im Bäderstil.

Von all dem kann erfahren, wer sich entlang der Ostseeküste bewegt, die zwischen Ahlbeck und Heiligendamm auch eine Straße der Bäderarchitektur ist. Bis es soweit ist, kann man immer wieder in dem Bildband von Reno Stutz und Thomas Grundner blättern. (mz)

Reno Stutz/Thomas Grundner: Bäderarchitektur, Hinstorff Verlag Rostock, 120 Seiten, 29,99 Euro