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Beyoncé in Düsseldorf Beyoncé in Düsseldorf: Eine neue Evolutionsstufe der Arenashow

Von Christian Bos 13.07.2016, 13:38
Den großen Hut hatte Beyoncé während des Konzertes abgelegt.
Den großen Hut hatte Beyoncé während des Konzertes abgelegt. Invision

Der riesige Monolith streckt sich 18 Meter hoch, stößt fast an die Decke der Esprit-Arena. Jetzt leuchtet er auf, in Weiß und Rosarot, beginnt ganz langsam sich zu drehen. Bilder flackern auf. Wasser, Wolken, Beyoncé: Naturgewalten. Eine Orchidee entfaltet sich aus dem Mund der Sängerin.

Noch steht niemand auf der Bühne. 36 500 Menschen jubeln in Düsseldorf einem Monolithen zu. Wie ihre behaarten Vorfahren am Anfang von „2001 – Eine Odyssee im Weltraum“. Aber hier ist jeder Begeisterungskiekser gerechtfertigt. An diesem Dienstagabend erlebt man wirklich eine neue Evolutionsstufe. Nicht der Menschheit, vielleicht noch nicht einmal der Popmusik. Aber auf jeden Fall der großen Arenashow.

Beyoncé, die Ein-Frau-Armee

Ein minimalistischer Maultrommelbeat zerreißt die Luft. Links und rechts des Leuchtquaders marschieren Tänzerinnen in Zweierreihen an. Sie tragen schwarze Hüte genau wie Beyoncé, die jetzt leibhaftig aus der Unterbühne hochfährt, ihr Gesicht noch unter der breiten Krempe verborgen.

Kommt schon, Ladies, fordert sie, lasst uns eine Formation bilden. Ihre 20 Tänzerinnen haben das freilich längst getan. Über weite Strecken des Abends bilden sie ein gleichschenkliges Dreieck hinter dem Star, als wäre Beyoncé eine Legion, eine Ein-Frau-Armee.

Gemeint sind mit „Formation“ zuerst einmal alle schwarzen Frauen Amerikas. Und heute Abend wohl alle, die sich in ihrem Namen versammelt haben, zum allergrößten Teil jung und weiblich sind und T-Shirts tragen, auf denen zum Beispiel „Don’t worry be Yoncé“ steht. An den Verkaufsständen vor der Arena sind sie nicht unter 40 Euro zu haben. Geschäftstüchtig war die Sängerin aus Houston, Texas schon immer. Aktivismus war ihr fremd, und mit ihrer Girlgroup Destiny’s Child hat sie auch für George W. Bush im Weißen Haus gesungen.

Geschäftssinn mit feministischen Kampfansagen gepaart

Doch nun, wo sie seit fast 20 Jahren auf der Bühne steht, verbindet sie diesen Geschäftssinn mit feministischen Kampfansagen und „Black Lives Matter“-Botschaften. Bei ihrem Superbowl-Auftritt hatte sie die Ästhetik der Black Panther zitiert (und gleichzeitig ihre „Formation“-Tour angekündigt). Die US-Polizeigewerkschaft forderte den Beyoncé-Boykott. Woraufhin sie plötzlich umstrittene „Boycott Beyoncé“-T-Shirts drucken ließ.  Zu 40 Euro das Stück am Merchandising-Stand zu erwerben.

So macht man das. Jetzt hat Beyoncé endlich den Hut abgenommen, darunter trägt sie ihre Rastalocken zum langen Zopf geflochten. Der peitscht in den nächsten zwei Stunden unablässig von links nach rechts: Frisur als Waffe. Auch sonst demonstriert die Sängerin amazonenhafte Stärke, Sexyness als Selbstermächtigung, nur um im nächsten Moment mit einem Mona-Lisa-Lächeln die allerschönsten Beziehungs-Balladen zu singen. „Me, Myself and I“ heißt eine, sie handelt, so Beyoncé,  von der wichtigsten Beziehung im Leben: Der zu dir selbst.

Als müsste sie gegen die eigene Ikonenhaftigkeit ansingen

War sie nicht eben noch in Mannschaftsstärke über den Laufsteg geprescht, vorbei an hochgereckten Handys, hatte lauthals gefragt, wer wohl die Welt regiere? Wie kann sie nur gleich darauf ganz allein mit ihrer Stimme die gewaltige Halle ausfüllen? Und das nicht schlicht aus voller Brust schmetternd, sondern nuancenreich und tief empfunden?

Das sind Momente, in denen auch das Bildgewitter des Monolithen zur Ruhe kommt, in denen nur das riesenhafte Livebild über der aufs menschliche Maß zurechtgestutzten Künstlerin thront, als müsste die gegen die eigene Ikonenhaftigkeit ansingen.

Symbolpolitik im Arenamaßstab

Ach, falls Sie sich gefragt haben, wer denn nun die Welt regiere? Natürlich „girls“, und tatsächlich stehen ausschließlich Frauen auf der Bühne, nicht nur Star und Tanztruppe, auch Background-Sänger und Band sind exklusiv weiblich. Die X-Formation, in der Beyoncé beim Superbowl übers Football-Feld tanzte, stand ja nicht nur für Black Power, sondern ebenso fürs Doppel-X-Chromosom.

Das ist kein wohlfeiler Popfeminismus mehr, das ist Symbolpolitik im Arenamaßstab. Obwohl die Produktion rein technisch alles bislang Gesehene ins Zwergenreich verweist – etwa wenn sich der Monolith exakt entlang der zum Beten gefalteten Hände Beyoncés teilt und dazwischen wild die Funken sprühen – ist der bemerkenswerteste Spezialeffekt doch die Gewissheit, dass sie es ernst meint, mit ihrem Angebot, an ihrer Macht teilzuhaben.

„Ihr seid alle makellos!“

Bislang war Makellosigkeit ihr einziger Makel. Aber wenn sie jetzt in „Flawless“ davon singt, dass sie schon perfekt aufgewacht ist, lädt sie das Publikum zum Chor, ruft wie ein aufgekratzter Fernsehprediger aus: „Ihr seid alle makellos!“  – und, verdammt, in diesem Augenblick glaubt man es ihr. Und wenn sie „Love On Top“ in einer Tour de Force a capella singt, nutzt sie auch diesen Leistungsbeweis, um die Massen mitzunehmen. Lacht, als die gar nicht mehr aufhören wollen, den Refrain zu wiederholen. Kurz davor, nach dem Country-Mitklatschsong „Daddy Lessons“, hatten die Fans  – der sogenannte „Bee-Hive“ – die sichtlich gerührte Sängerin in Ovationen gebadet.

Die bedankt sich, in dem sie ihr Privatleben als Beispiel begreift. Gewiss, auf ihrem aktuellen Album „Lemonade“ verarbeitet sie spektakulär ihre (angebliche) Ehekrise – intime Bilder von Jay-Z und Tochter Ivy Blue laufen in Hochhausgröße über den Monolithen – aber viel wichtiger sind doch die Aussagen darüber, was es bedeutet, eine schwarze Frau in Amerika zu sein, zu denen die eigene Malaise nur den Anstoß gibt.

Eine Naturgewalt, die ihre Kräfte großzügig verleiht

Dann marschieren Beyoncé und ihre Frauenarmee zum letzten Mal über den Laufsteg, zu der kleinen Bühne in der Mitte des Innenraums, die nun knöcheltief mit Wasser geflutet ist, „Freedom“ fordert die Sängerin, Freiheit von den Ketten, die sie davon abhalten wollen, sich in tiefere Gewässer zu wagen, während die Tänzerinnen Wellen schlagen und die Fans Spritzer für Spritzer wiedertaufen.

Schließlich sitzt Beyoncé allein im flachen Pool, ihr perfektes Make-up ist verwischt, sie taucht ihren Rastazopf ins Wasser und singt „Halo“, ihr schönstes Liebeslied. Was war das bloß, was hat man im Schatten des Monolithen erlebt? Eine Naturgewalt, die ihre Kraft großzügig verleiht.