Beitrag Beitrag: Das «Portrait des Dr. Gachet» gibt Rätsel auf

Tokio/dpa. - Kaum ein anderes Gemälde von Vincent van Gogh gibt der Kunstwelt ein größeres Rätsel auf als das «Portrait des Dr. Gachet». 1990, hundert Jahre nach seiner Entstehung, hatte es der japanische Industrielle Ryoei Saito in nur drei Minuten für 82,5 Millionen Dollar ersteigert. Bis zum heutigen Tage ist dies die höchste Summe, die je für ein Kunstwerk gezahlt worden war. Doch seit jener Aufsehen erregenden Auktion in New York ist van Goghs «Portrait des Dr. Gachet» niemals mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Als van Gogh wenige Wochen vor seinem Selbstmord am 29. Juli 1890 seinen Arzt in Auvers-sur-Oise bei Paris, Dr. Ferdinand Gachet, malte, konnte er nicht ahnen, dass die Geschichte des Bildes einmal zu einem wahren Kunstkrimi werden sollte. Sie handelt von der Leidenschaft unter Sammlern, von Habgier und der Kommerzialisierung von Kunst. 13 Mal wechselte das Werk den Besitzer, wie Cynthia Saltzman, Autorin des Buches «Das Bildnis des Dr. Gachet», schrieb. Bankiers, Kunsthändler in aller Welt, die Nazis und jüdische Emigranten waren an An- und Verkauf des Werks beteiligt. Nachdem der 1996 verstorbene Saito, Ehrenpräsident des japanischen Papierkonzerns Dai Showa, das Bild erworben hatte, soll er gesagt haben: «Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.» Das würde bedeuten, dass das Bild mit ihm eingeäschert worden wäre. Doch kann das sein? Oder wollte Saito damit nur seine große Wertschätzung für das Werk zum Ausdruck bringen? Saito hat zumindest die Antwort darauf mit in den Tod genommen und der Nachwelt Stoff für Spekulationen und Legenden hinterlassen. «Herr Saito hat das Bild gekauft, um damit Geld zu machen», meint der japanische Kunstkritiker Shinichi Segi. Tatsächlich ist das «Portrait des Dr. Gachet» wie kein anderes Bild zum Symbol des geradezu aberwitzigen Gemäldebooms geworden, der während der kreditfinanzierten Spekulationsphase Ende der 80er Jahre in Japan herrschte. Die Japaner kauften damals auf dem Höhepunkt der so genannten «Luftblasenwirtschaft» überall auf der Welt die begehrtesten Gemälde genauso wie sie die attraktivsten Immobilien oder die renommiertesten Hotels erwarben. Diese Männer hätten die wertvollen Gemälde fast nie in der Öffentlichkeit gezeigt, erläutert Segi. Lediglich ihre Geisha habe sie zu Gesicht bekommen. Anfang der 90er Jahre platzte die Spekulationsblase. «Wer den Verlust verkraften konnte, hat seine Bilder verkauft», sagt Segi. Andere hätten sie verpfändet. Vom «Gachet» fehlt jedoch jede Spur, seitdem sein japanischer Besitzer Saito Medienberichten zufolge 1995 wegen eines Bestechungsskandals zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und im Jahr darauf gestorben war. Japanische Medien berichteten vor einigen Monaten, ein italienischer Unternehmer habe es in der Schweiz erworben und nach Japan zurückgebracht, um es dort zu verkaufen. Als Quelle wurde die Enkeltochter eines deutschen Bankers genannt, der das «Portrait des Dr. Gachet» von Adolf Hitlers «Reichsmarschall» Hermann Göring erworben hatte. Göring hatte demnach das Gemälde 1937 aus einem Museum in Frankfurt beschlagnahmt und später an ihren Großvater verkauft. Dieser habe es einem jüdischen Banker gegeben, woraufhin es nach Amerika gelangt sei. Die japanische Tageszeitung «Asahi Shimbun» will nun im Zuge eines laufenden Erbschaftssteuerprozesses der Familienmitglieder des japanischen Papierindustriellen Saito erfahren haben, dass das Bild 1997 an eine Tochter des Auktionshauses Sotheby's in New York verkauft worden war. Wo es danach hinging, sei nicht bekannt. Es kursieren jedoch Gerüchte, wonach ein Casino-Mogul im amerikanischen Las Vegas das «Portrait des Dr. Gachet» sowie Renoirs «Au Moulin de la Galette» aus dem Nachlass von Saito übernommen hat. Der Kunstkritiker Segi jedenfalls vermutet, dass das «Gachet»-Gemälde nach dem Tode von Saito ins Ausland verkauft worden ist, wahrscheinlich an einen «Profi, der spekuliert, dass der Preis für van Gogh weiter steigt».