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Bäume für Oma Meume Bäume für Oma Meume: Initiative will Gedenkort für Wolf Biermanns Großmutter am Volkspark in Halle

Von Christian Eger 08.11.2019, 11:00
Westbesuch von Oma Meume: Martha Dietrich um 1970 in der DDR zwischen Enkel Wolf Biermann (links) und dessen Ziehsohn Manuel Soubeyrand, heute Intendant der Neuen Bühne Senftenberg
Westbesuch von Oma Meume: Martha Dietrich um 1970 in der DDR zwischen Enkel Wolf Biermann (links) und dessen Ziehsohn Manuel Soubeyrand, heute Intendant der Neuen Bühne Senftenberg Roger Melis

Halle (Saale) - Die in Halle um 1885 geborene Proletariertochter Martha Schimpf, verheiratete Dietrich, gehört zu den bekanntesten Unbekannten der jüngeren deutschen Poesiegeschichte. Als Oma Meume wurde die Arbeiterfrau eine Berühmtheit - in zwei Gedichten ihres Enkels, des Liedermachers Wolf Biermann, besungen: der „Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg“ (1966) und im „Großen Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg“ (1967).

In diesen Liedern ist die Lebensgeschichte der Frau aufbewahrt, die dem einst überaus vitalen proletarischen Milieu der Stadt Halle entstammte. Ihre früheste Kindheit überlebte die Tochter eines Maschinisten nur knapp. Auf einem Turm aus Koffern, aufgebaut auf dem Küchenschrank, hatte er das Baby abgelegt, bevor er selbst die Wohnung verließ. Das Schicksal sollte entscheiden: Weiterleben - oder nicht? Der Turm brach nicht zusammen. „Das Kind lag friedlich da und schlief.“ Und der Vater? Er „weinte Rotz und Wasser / Und lallte ihm ein Wiegenlied“.

Es wurde ein reiches, aber hartes Leben. Der Vater nahm sich das Leben. Er hängte sich auf am Selbstmörderfriedhof in der Dölauer Heide in Halle. In der Schule soll das Waisenkind gequält worden sein, als Dienstmädchen bei herrschaftlichen Familien gedemütigt. Nach Hamburg folgte Martha ihrem Ehemann, dem halleschen Kommunisten Karl Dietrich, der früh verstarb. Ihr Schwiegersohn, der Kommunist und Jude Dagobert Biermann, wurde in Auschwitz ermordet.

Beten für den Mauerfall

Was Martha blieb, war die eigene Familie. Und, was für sie nicht voneinander zu trennen war, die Kommunistische Partei. Der hielt sie gegen Stalin die Treue. Ihrem 1976 aus der DDR ausgebürgerten Enkel galt die Großmutter als im Wortsinn „große Mutter“. Mit ihrem halleschen Dialekt, ihrer halleschen Klugheit ist er aufgewachsen, weshalb er nicht müde wird, die Stadt Halle neben seiner Geburtsstadt Hamburg zu loben.

Diese Geschichte ist nicht unbekannt, aber bisher kaum näher zur Kenntnis genommen worden und schon gar nicht gewürdigt. Eine Tatsache, die der hallesche Mediziner Michael Büdke ändern will. Im Frühjahr rief der 67-Jährige eine Bürgerinitiative ins Leben, um der Frau, ihrer Geschichte und literarischen Wirkung einen Erinnerungsort zu stiften. Dort, wo die hallesche Arbeiterbewegung ihr gesellschaftliches Zentrum fand: am Volkspark.

Am Mittwoch stellte Michael Büdke im Kulturausschuss sein Projekt vor, das bereits mehr als 20 Unterstützer gefunden hat, unter diesen die Pastorin Simone Carstens-Kant, der Musiker Matthias Erben, der Mediziner Volker Hofmann, die Autorin Annett Krake, der Autor Jörg Kowalski und der Bürgerrechtler Wolfgang Kupke. Büdke wirbt für einen „Oma-Meume-Winkel“.

Konkret: den Baum bestandenen Platz vor dem Hintereingang des Volksparkes, begrenzt von Advokatenweg und Kleiner Gosenstraße. Städtischer Grund. Probleme mit Adressänderungen seien nicht zu erwarten. Es gehe um „Neubenennung im Bestand“, so wie sie mit der Schaffung des „Jerusalemer Platzes“ auf dem Großen Berlin vollzogen wurde, der auch keine Hausnummern besitzt.

Die Kosten? Ein Straßenschild von der Stadt und ein Spenden-finanziertes Erklärschild. Historisch am richtigen Ort: Am Volkspark, wo 1924 der Rote Frontkämpferbund gegründet wurde, dem Meumes Mann angehörte. Genauso wie Fritz Weineck, der 1925 im Volkspark erschossene „Kleine Trompeter“. Es ist das Milieu, aus dem Oma Meume stammt. Und Margot Feist, die spätere DDR-Ministerin Margot Honecker.

Bäume für Meume? Ein Gedenkort für Rot Front? „Die Bedeutung der so Geehrten liegt darin, dass sie durch ein Lied ihres Enkels Wolf Biermann von einer unbekannten in Halle geborenen Proletarierin zu einer weithin bekannten Figur der Kunst wurde“, sagt Büdke. Erstaunlich ist für ihn auch, dass sie bereits im Lied von 1967 „für den Abbau der Mauer betet“. Für ihn ist Meume eine Frau, „die offenbar immer ihren klaren Verstand behielt“.

Steinchen im Mosaik

Auf die Frage, ob es nach all den Meume- und Halle-Preisungen nicht Zeit wäre für einen kleinen Meume-Ort in Halle, hatte Wolf Biermann im März in der MZ gesagt: Prima Idee! „Immerhin“, sagte er, „kämpften Oma Meume und ihre Kinder im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.“

Michael Büdke lobt die „sehr lebendige und vielgestaltige Erinnerungskultur“ Halles. Das Kleinteilige, das eben nicht nur auf das Weltbewegende setzt, sondern auf Menschen wie den Dichter Ringelnatz, den Antifaschisten Litten, den Zither-Reinhold. „In dieses schöne unvollendete, weiter zu gestaltende Mosaik würde sich Oma Meume gut einfügen mit einem bescheidenen Steinchen.“ Am 24. Januar 2020 ist Wolf Biermann in den Franckeschen Stiftungen zu Gast, auch um über Meume zu reden.

Das Bürger-Projekt wurde vom Kulturausschuss zur Kenntnis genommen. Wie geht es weiter? Unterstützer sammeln, sagt Büdke. Wahrscheinlich wird es irgendwann zu einer Abstimmung im Stadtrat kommen. Über einen Ort, der in Halle Kunst und Politik vereint.

Über eine Frau, die ihrem Enkel sagte: „Mei Junge, pass uff! durch Kluuchheet wird ma dumm.“ Der erzählte 1999 bei einem Volkspark-Konzert, was ihm Meume vor ihrem Tod verriet: „Ich träumte, die Welt geht unter!“ Ach, Oma! „Aber da fiel mir ein, das geht ja gar nicht!“ Wieso? „Na Wolf, wo soll sie denn hin?“ (mz)

››Mail-Kontakt zur Bürgerinitiative:[email protected]