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Ballett Ballett: Sehnsucht nach dem Monster

Von ANDREAS HILLGER 05.12.2010, 18:08

Halle (Saale)/MZ. - Das Glück ist immer da, wo Belle nicht ist: Während sie im verwunschenen Palast des sanften Ungeheuers tanzt, sehnt sie sich nach Hause zu ihrem Vater und ihren Schwestern zurück. Doch als sie dann die Heimkehr zu ihrer Familie feiert, sind ihre Gesten nur noch ein Echo auf die fernen Bewegungen des Geliebten.

Die Schöne trägt das Biest längst in sich, selbst in den Armen des Prinzen spürt sie die Berührung seiner Hände. Und so muss sie ihm Erlösung bringen, um selbst von ihrer Sehnsucht erlöst zu werden.

Vorfristiges Weihnachtsgeschenk

Mit der Bearbeitung des französischen Märchen "La Belle et la Bête" hat Choreograf Ralf Rossa seiner Compagnie ein vorfristiges Weihnachtsgeschenk gemacht: Die Premiere in der Oper Halle wurde am Samstag derart frenetisch gefeiert, dass man für die Zukunft durchaus auf überregionale Resonanz hoffen darf. Schule machen sollte in jedem Fall die musikalische Fassung, die Rossa gemeinsam mit dem Dirigenten David T. Heusel aus dem Werk des Komponisten Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) entwickelt hat: ein Soundtrack der Klassischen Moderne, der als Lebensreise zwischen Wiener Salon und Hollywood-Studio zahlreiche szenische Anlässe liefert.

Besonders breiten Raum nimmt dabei das schmerzlich schöne, von Dorothée Stromberg solistisch gekrönte Violinkonzert in D-Dur ein, den zentralen dramaturgischen Moment aber begleitet das E-Dur-Quintett - die große Form trifft auf die kammermusikalische Konzentration, gleichberechtigt neben der Leistung des Einzelnen entfaltet sich das Ensemble.

Dies entspricht auch Rossas Inszenierung, deren Fokus nicht auf das zentrale Paar beschränkt bleibt. Schon das erste Bild vervielfacht Belle in einer Art Spiegelkabinett, in dem das Mädchen zeitgleich in verschiedenen Bewegungen zu sehen ist. Und später wird das Schloss des Biestes mit Gegenständen möbliert, die ein kurioses Eigenleben führen.

Da tanzt die Ritterrüstung mit dem Eisbärenfell, der Kandelaber kreist um die Standuhr und die Einhorn-Trophäe steigt zur Spiegelkommode herab. Obwohl man in diesen Momenten natürlich an das weltweit erfolgreiche Disney-Musical erinnert wird, vermeidet die hallesche Inszenierung die reine Süße dieses Vorbilds. Anke Tornows Projektionen erinnern unaufdringlich an die Scherenschnitt-Ästhetik von Lotte Reininger, die Kostüme von Götz Lanzelot Fischer und Ursula Mennicke könnten bei stärkerer geometrischer Reduktion auf Oskar Schlemmer verweisen. Man blickt auf eine verspielte Variante jener Jahre, die Korngold mit seiner Musik prägte.

Perfekte Selbstironie

Das ist natürlich der perfekte Rahmen für Rossas neoklassisches Vokabular, das er mit perfekter Selbstironie immer wieder für zeitgenössische Intermezzi öffnet. Mit Markéta Slapotová und Michal Sedlácek verfügt er dabei über erprobte Hauptdarsteller, die sich auch diesmal ideal ergänzen.

Während die Schöne ihre erzwungene Reise als sphärisch leichtes, ätherisches Wesen antritt, strahlt das Biest zunächst vor allem animalische Kraft aus. Dass beide danach von ihrer Begegnung profitieren, dass das leichtsinnige Mädchen selbstbewusster und das schwermütige Monster eleganter wird, ist eine schöne tänzerische Entsprechung für die Moral des Märchens - und macht die Verwandlung des Tiers am Ende überflüssig.

Mit den beiden verzogenen Schwestern (Colleen Swihart, Marion Schwarz) und dem wohlmeinenden Vater (Andriy Holubovskyy), dem schönen Prinzen (Yann Revazov) und den anderen Freiern (Dalier Burchanow, Zdenko Galaba) grundiert und flankiert Rossa die ungleichen Liebenden. Der Star aber ist bei ihm einmal mehr das Ensemble, das im Ballgetümmel wie im Schloss-Spuk individuelle Figuren präsentiert und wie beiläufig immer wieder in synchrone Passagen findet.

Dieser Ansatz, der die Gleichzeitigkeit des Tanzes als ein flüchtiges Glück betont, prägt auch das poetische Zentrum: Wenn Belle nach und nach von allen Tanzpartnern verlassen wird, bis sie schließlich im blauen Ungefähr allein bleibt, dann ist dies eine der schönsten Rossa-Szenen überhaupt. Man hätte sie gern ohne den Gaze-Vorhang gesehen, der das Geschehen unnötig auf Distanz hält.

Nächste Vorstellungen: 21. und 29. Dezember, jeweils 19.30 Uhr