Babylon-Ausstellung in Berlin Babylon-Ausstellung in Berlin: Multikulti im Altertum

Berlin/dpa. - «Jerusalem ist ein Politikum, Babylon ist Weltkultur!» Mit diesem apodiktischem Leitsatz präsentieren die Ausstellungsmacher ihre spektakuläre Schau «Babylon. Mythos undWahrheit», die seit Donnerstag auf der Berliner Museumsinsel zu sehen ist. Nach einer teilweisen Präsentation der Schau im Pariser Louvre und vor der Londoner Station ist die Ausstellung bis zum 5. Oktober im Pergamonmuseum zu sehen. Damit also am Rekonstruktions-«Tatort» der Glanzstücke der Ausgrabungen des deutschen Archäologen Robert Koldewey Anfang des 20. Jahrhunderts, des Ischtartors und der legendären Prozessionsstraße von Babylon, in denen die Babylonier ihrNeujahrsfest mit Götterprozessionen feierten.
In Erinnerung gerufen wird noch einmal die vermutlich größte undprächtigste und auch multikulturelle Stadt des Altertums imZweistromland Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris im heutigenIrak. Zu sehen sind über 1000 Objekte wie Keilschrifttafeln (in denenschon das «Auge um Auge, Zahn um Zahn» auftaucht), Schmuck,Grabbeilagen, Waffen, Münzen, Dokumente, Gemälde und natürlich auchModelle des sagenumwobenen Turms zu Babel, der nach heutigenKenntnissen quadratisch und stufenförmig angelegt war, den der letztebabylonische Herrscher, der Grieche Alexander der Große abtragenließ, um einen neuen zu errichten - und darüber 323 v. Chr. inBabylon starb.
Die Ausstellungsmacher der Stiftung Preußischer Kulturbesitzzeigen - in Zusammenarbeit mit dem Pariser Louvre und dem BritishMuseum, Leihgaben aus dem Irak waren aus Sicherheitsgründen nicht zuerhalten - Babylon in seinen vielen Facetten von der Religion überdie Baukultur und der Arbeitswelt bis zur Wissenschaft und demRechtswesen. «Irak ist ein Land mit großer Kulturtradition», wollendie Ausstellungsmacher auch deutlich machen. «Wir geben einenÜberblick über das, was die Archäologie heute weiß oder glaubt zuwissen, denn vieles wird ja immer wieder in Frage gestellt», meintJoachim Marzahn, Kustos am Vorderasiatischen Museum in Berlin. «InUmfragen meinen 19 von 20 Befragten heute immer noch, Babylon istgescheitert. Wir wissen es besser.»
Das vorherrschende Negativurteil über Babylon liegt an denüberlieferten Legenden, die im umfangreichen Mythos-Teil derAusstellung dokumentiert werden. Es fing mit Nebukadnezar II. an, der597 v.Chr. den Staat Juda vernichtete und Jerusalem einnahm und dieJuden in die «Babylonische Gefangenschaft» führte, wovon noch heutein Verdis Oper «Nabucco» Klage geführt wird. In der Bibel ist Babylon«die Mutter des Unzüchtigen und der Gräuel der Erde», Augustinus(354-430 n.Chr.) griff das auf und stellte die Idee vom GottesstaatJerusalem dem irdischen Babylon als der Stadt des gotteslästerlichenBösen gegenüber. Der Reformator Martin Luther sah dagegen 1520 in Romdie «babylonische Hure». Dieses Wort wurde bis in die Neuzeit zumSynonym für Sittenverfall, in Alfred Döblins Roman «BerlinAlexanderplatz» reitet die «Hure Babylon» durch die brodelndeMetropole der 20er Jahre.
Babylon stehe noch immer für die «Angst der Menschheit vorselbstverschuldetem Untergang und Selbstüberhebung, für Sünde,Sprachenverwirrung und Apokalypse», meinte Kurator Moritz Wullen amMittwoch vor Journalisten im Pergamonmuseum. «Das Babylon in unserenKöpfen ist noch immer stärker als das Babylon im Wüstensand.» DasThema Sprachverwirrung darf in der Ausstellung auch Helge Schneidermit seinem Kunstobjekt zur «Akopalüze nau» vertreten. Was dieApokalypse angeht heißt es auf einem Filmplakat von 1919 vieldeutig:«Der Untergang von Babylon - Verleih für ganz Deutschland». Und wasden Turmbau zu Babel als «Kathedrale des Bösen» betrifft, werdenLegendenbilder auch der modernen Popkultur angeführt wie Saurons Turmin der Verfilmung von Tolkiens «Herr der Ringe».