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Ausstellung auf der Leuchtenburg Ausstellung auf der Leuchtenburg: Mit der Klampfe gerne nackt

Von Margit Boeckh 26.09.2013, 05:16
Hoch hinaus: Wandervögel auf der Leuchtenburg in den 20er Jahren
Hoch hinaus: Wandervögel auf der Leuchtenburg in den 20er Jahren archiv der deutschen jugendbewegung julius gross Lizenz

Kahla/MZ - „Die Gedanken sind frei“ schallt es in voller Lautstärke, gefolgt von dröhnendem „Wann wir schreiten Seit an Seit“. Wer in diesen Tagen durch das Haupttor den romantischen Hof der Leuchtenburg betritt, kriegt richtig was auf die Ohren. Die Uralt-Hits aus dem „Zupfgeigenhansl“ ertönen in Endlosschleife den ganzen Tag über. Sie bilden die akustische Einstimmung auf die Ausstellung „Glut ist Geist“. Die beschwört eine ganz besondere Epoche in der vielhundertjährigen Geschichte dieses Gemäuers herauf.

Was damals dort los war? Einfach ein Skandal! Fanden jedenfalls die Bürger keineswegs nur im beschaulichen Thüringen. Das schockierende Treiben auf der gewaltig-schönen Burg sprach sich weit herum in deutschen Landen. Weil: Es hauste dort ein Trupp junger Leute frank und frei und allzu freizügig. Das geschah 1920. Die wilde Schar gehörte zur Wandervogelbewegung, die vor 100 Jahren - im Oktober 1913 - begründet wurde.

Es hagelte Proteste.

Das Grauen hatte einen Namen: Muck Lamberty. Als Bürgerschreck mischte er anfangs der 20er Jahre mit seiner „Neuen Schar“ die Gegend zwischen Franken und Thüringen auf. Jugendbewegte Revoluzzer aus der Uropa-Zeit, denen der aus dem Elsass gebürtige Mann die Parole vorgab: „Kampf der Jugend gegen die Alten!“

Ausstellung bis 14. März auf der Leuchtenburg

Täglich 9-18 Uhr (bis Oktober), dann von 9-17 Uhr

Mit einer rasch wachsenden Anhängerschar zog Muck (eigentlich Friedrich Lamberty, den Spitznamen er- und behielt er wegen seiner Kleinwüchsigkeit) singend, predigend und tanzend durch die Lande. Vom fränkischen Kronach über Coburg bis zur Wartburg. In Erfurt sollen auf dem Domplatz um die 15.000 Menschen mit dem „Messias von Thüringen“ verzückt gefeiert haben.

Mit jenem Muck landete ein Teil der wilden Jungschar im November 1920 schließlich auf der Leuchtenburg. Kein zufälliger Ort. Das hoch über der Porzellinerstadt Kahla thronende Gemäuer hat bis heute seinen Romantikfaktor XXL bewahrt. Zudem war in den ehrwürdigen Mauern gerade die erste Jugendherberge Thüringens eingerichtet worden. Muck und seine Getreuen zogen als allererste Gäste ein. Sie führten dort „ein Leben mit dürftiger Nahrung und bescheidener Kleidung. Die Mädchen besorgen die Küche und schneidern. Die Burschen fertigen Schuhe und tischlern, arbeiten bei Bauern“, notierte ein Zeitgenosse. Den freien Sinn lebte man gerne auch frei von jeglicher Kleidung aus. Was „normale“ Ausflügler nicht so toll fanden. Es hagelte Proteste. Als dann noch herauskam, dass Jugend-Guru Muck in einer Art Haremswirtschaft reihenweise Gefolgsmädels geschwängert hatte (seine Begründung: „die geschlechtliche Not der Frauen“, der er nur abgeholfen habe), war es aus mit der Idylle. Die „Neue Schar“ flog hochkant raus aus der Leuchtenburg.

Singen und Tanzen statt Militarismus

Die Ausstellung „Glut ist Geist“ nimmt das 100-jährige Jubiläum des „Ersten Freideutschen Jugendtages“ zum Anlass. Im Oktober 1913 hatte auf dem Hohen Meißner bei Kassel die Wandervogel-Bewegung ihren Siegeszug durch Deutschland gestartet und vor allem die Bildungsbürgerjugend erfasst. Das Motto der Ausstellung zitiert das Gedicht eines anderen Jugendapostels von damals - Gusto Gräser. Darin heißt es zeitgeistig altertümelnd: „Tut, was die Leut“ entsetzt! Tut nit so vereist! Glut ist Geist!“. Was sie wollten, ging als „Meißner Formel“ in die Geschichte ein. „Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrheit ihr Leben gestalten“ - so das Credo. Freie Natur anstelle von Großstadtmief. Singen und Tanzen statt Militarismus und Kaiserkult der alten Gesellschaft. Nacktheit gegen Uniformen.

Mit der Ausstellung „Glut ist Geist“ wird der Besucher am originalen Schauplatz in die mitreißende Aufbruchstimmung der Wandervogelideen zurückversetzt. Historische Fotografien im Großformat und Wandinstallationen zeigen die naturverliebte und dabei rebellische Idylle vor einhundert Jahren. Jungen und Mädels in Wanderkluft, singend und beim züchtigen Ringelreihen oder auch gerne mal in paradiesischer Nacktheit. Zeichnungen und Zitate aus Gästebüchern der Herberge, gedichtete Impressionen beschwören die Gedankenwelt von Urvätern der späteren Hippies.

„Wann wir schreiten Seit an Seit“

Das Bild „Lichtgebet“ von Hugo Höppener alias Fidus mit einem nackten jungen Mann, der im Rausch des Bewusstseins seiner selbst den Körper der Sonne entgegenreckt, wurde zur Ikone der Jugendbewegung; es ist ein auch heute noch präsenter Topos der Kunstgeschichte. Und Hermann Hesse, wie viele Promis seiner Zeit alternativ jugendbewegt, erinnert sich in seinem Roman „Morgenlandfahrt“: „Erschüttert vom Kriege, verzweifelt durch Not und Hunger, tief enttäuscht durch die anscheinende Nutzlosigkeit all der geleisteten Opfer an Blut und Gut, war unser Volk damals manchen Hirngespinsten, aber auch manchen echten Erhebungen der Seele zugänglich, es gab bacchantische Tanzgemeinden und wiedertäuferische Kampfgruppen, es gab dies und jenes, was nach dem Jenseits und nach dem Wunder hinzuweisen schien.“

Das Wunder indes, es mündete für so manches idealistische Gut der Protestler (bis hin zu den Gesängen) direkt in den Wahn des „Dritten Reiches“. Und auch im Liederbuch der FDJ hatte das schon 1914 entstandene Bekenntnislied „Wann wir schreiten Seit an Seit“ schließlich noch seinen Platz. Die Wandervögel, sie zerstoben in alle Winde und auch in alle (politischen und weltanschaulichen) Richtungen. Wie ein Menetekl wirkt das Schicksal von Muck Lamberty.

Von der Landesregierung vertrieben nach dem allzu freimütigen Bekenntnis zu freier Liebe, fand er ausgerechnet in der biederen Beamten- und Pensionistenstadt Naumburg eine neue Bleibe. Dort gründete er ein Nachfolgeunternehmen der früheren „Werkschar“, das bis zu 100 Arbeitskräfte beschäftigt haben soll. Nach Problemen mit den sowjetischen Besatzern siedelte er mitsamt dem Betrieb um gen Westen. Der Wandervogel-Vordenker starb in Oberlahr im Westerwald 1984 mit 92 Jahren. Hinterlassen hat er zahlreiche Kinder, deren Namen teilweise nach Bäumen ausgewählt waren, unter denen sie entstanden.