Architektur Architektur: Hermann Henselmann wurde vor 100 Jahren geboren
Halle/MZ. - Das Bild vom Kapitän auf stürmischer See bezogsich damals auf den gerade virulent ausgebrochenenZwiespalt im Glaubensbekenntnis der Nachkriegsarchitekten,soweit sie dem Arbeiter- und Bauernstaat dienten."Gräßlich drohen die Gefahren / unsrem Architektenschiff, / sehtin fürchterlicher Nähe / hebt sich schon dasSäulenriff. / Wo die Kanneluren lauern, / Kapitälewild gezackt, / und die Lieder der Lisenen / lockenin verwegenem Takt."
Man macht sich kräftig Mut in diesem Lied.Der Käptn ruft: "Kurs halten" und die Matrosensingen "Hänselmänner sind modern!". Doch HenselmannsLebensschiff war unterwegs zur Architektur"sozialistisch im Inhalt, national in derForm" längst auf Schlingerkurs politischerManöver. Unübersehbar bezeugen können es seinefast komplett erhaltenen Bauwerke auch heutenoch, an der 100. Wiederkehr seines Geburtstages.
Es ist beeindruckend, wie Henselmann in denAnfangsjahren der DDR stets zur rechten Zeitam richtigen Ort das seiner Karriere Förderlichetut. Beredsamkeit, Auftreten, Bildung undherausragendes entwerferisches Können - erweiß seine Gaben mit Schläue und Kalkül einzusetzen.Und nicht selten auch mit theatralischer Wirkung.
Zwischen 1951 und 1955 sind es regelrechtePaukenschläge, die Henselmann auf der Bühneder Macht in die Schlüsselposition katapultieren.Überzeugungen werden dabei zum Hemd, das manwechselt. Hatte der in Roßla am Harz geboreneanfängliche Tischlergeselle in den 30er Jahrennoch Le Corbusier zum Vorbild, im Krieg aberauch beim Wiederaufbau von Blut-und-Boden-Gehöftenim Warthegau mitgeholfen, so übernimmt er1946 die Leitung der Weimarer Bau- und Kunsthochschule.
Aber schon 1949 wirkt er an einer derMeisterklassen der Akademie der Wissenschaftenin Berlin. Das Projekt "Stalinallee" ziehtherauf. In Konkurrenz mit den beiden anderenLehrmeistern Richard Paulick und und HansHopp beteiligt er sich zunächst am Wettbewerbfür das Hochhaus an der Weberwiese. Wie dieanderen setzt er voll auf die Moderne, aberdie steht seit 1950, nach der legendären Umerziehungsreisevon DDR-Baufunktionären und Architekten nachMoskau, auf dem Index. Das "Neue Deutschland"tobt. Praktisch binnen Stunden liefern Henselmannund die anderen eine Variante im Zuckerbäckerstil.Henselmann behauptet darin eine Inspirationaus dem preußischen Klassizismus und bekommtden Zuschlag. Die SED, deren Mitglied er ist,aber bleibt ihm gegenüber reserviert - manhält diesen "Bohème-Typ mit bürgerlichen Reminiszenzen"für doppelzüngig.
Am 15. November 1951 landet Henselmann denCoup mit dem Straußberger Platz. Das Politbürohat die Preisträger des vorangegangenen Wettbewerbszur Stalinallee einbestellt. Henselmann, dergar nicht teilgenommen hat, ist ominöserweisein der Runde dabei.
Als alle ihre Entwürfe vorgestellt haben,dreht er verdeckt aufgestellte Rahmen um und"elektrisiert" Ulbricht, Pieck und Grotewohl,wie es ein Beobachter schildert, mit einerZeichnung des Straußberger Platzes als grandiosinszeniertem Portal, dominiert von einem Hochaus-Turmpaarund mit einer Art Siegesplastik in der Mitte.
Von Stund an ist Henselmann, und nichtder düpierte Paulick, der Impulsgeber in derHauptstadt. Und dort 1953 zum Chefarchitektenernannt, zeigt sich Henselmann weiter mitKurswechseln im Einklang. 1956 ist der Zuckerbäckerstilpassé. Der zweite Abschnitt der Stalinalleeentsteht in Großtafelbauweise und gipfeltbeim "Haus des Lehrers" in ungeniertem Modernismus.Dem huldigt Henselmann bis zuletzt mit einerSerie von "sprechenden" Bauten wie dem LeipzigerUniversitätshochhaus in Form eines Buches.Er stirbt 1995 als der Archetyp des Architektenim Dienst der Macht.