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Archäologie Archäologie: Wo Steinzeitmenschen ihre Kreise ziehen

Von Günter Kowa 20.06.2005, 17:27

Goseck/MZ. - Offener Widerspruch

Die Presseerklärung war durchsetzt mit Entdeckerstolz. "Erstmals zweifelsfrei gelungen" sei der Nachweis einer astronomischen Funktion der Anlage. "Einmalig" sei die Zahl der Tore, nämlich drei. Doch vor allem sei Goseck "das älteste zweifelsfrei nachgewiesene Sonnenobservatorium Europas".

Offener Widerspruch war in einer personell so übersichtlich organisierten Wissenschaft wie der Archäologie über kurz oder lang zu erwarten. Aus dem Landesamt in Sachsen kam jüngst herbe Kritik an den halleschen Kollegen sowie dem Ausgräber Francois Bertemes, Professor für prähistorische Archäologie an der Uni Halle. "Nicht gut aufgenommen" werde "in der wissenschaftlichen Community" die These von Goseck als Sonnenobservatorium. Das Alter der Anlage sei nicht bewiesen.

Ganz so aufgebracht ist die "wissenschaftliche Community" allerdings nicht. Eher scheint nachbarschaftliche Rivalität durch, wenn etwa Landesamts-Sprecher Christoph Heiermann beklagt, dass in den Medien niemand von den länger zurückliegenden Ausgrabungen der Kreisgräben von Nickern bei Dresden oder Kyhna bei Leipzig Notiz genommen habe. Jedenfalls so lange nicht, bis vor kurzem der Londoner "Independent" mit einem Bericht über die bisher angeblich übersehene "älteste Zivilisation Europas" überraschte. Das seien die Erbauer jener Kreisgräben gewesen, die jetzt zu hunderten in Mitteleuropa entdeckt würden, vorneweg die in Nickern.

Wenn derlei Neuigkeiten irgendwo Erstaunen auslösen, dann ganz sicher in Österreich. Gut 40 der inzwischen bekannten 120 Anlagen wurden bislang in der Alpenrepublik gefunden. Es war die Luftbildarchäologie, die die am Boden unsichtbaren Kreise aufspürte. Nach 1990 hielt die Methode auch in Osteuropa Einzug. Seitdem wimmelt es auf der Landkarte von Kreisgräben, die sich von Österreich bis zum Balkan ballen.

Aus dieser Sicht rückt Goseck deutlich an den Rand des Geschehens. Das ist einer der Gründe, warum etwa der Wiener Archäologe Wolfgang Neubauer, aber auch Wolfram Schier der Uni Würzburg oder Michael Meyer vom Brandenburger Landesamt, eine Vorreiterrolle für Goseck anzweifeln. Die Datierung beruht dort auf geborgener Keramik der "Stichband"-Kultur um 5000 vor Christus. "Dies könnte aber älterer Siedlungsmüll sein", sagt Neubauer. "Was in Goseck fehlt, ist ausreichend Material, das mit der Radiokarbon ("C14")-Methode zeitlich genau bestimmt werden kann." In Österreich ist es die Anlage von Schletz, die mit 4815-4760 v. Chr. als die älteste erkannt wurde. "Das Problem ist, dass alle bekannten Anlagen in einen sehr engen Zeitraum von rund 200 Jahren fallen", ergänzt Meyer. "Welche älter oder jünger ist, lässt sich kaum mit Sicherheit sagen."

Goseck fällt im Grunde weniger durch Einzigartigkeit als dadurch auf, dass die Anlage vieles bestätigt, was über die Kultur ihrer Erbauer deutlich wird. Dass sie die Anlagen kalendarisch ausrichteten, das haben Astronomen wie der Bochumer Wolfhard Schlosser an so vielen Beispielen nachgemessen, dass etwa Schier oder Neubauer zugeben, nach anfänglicher Skepsis überzeugt worden zu sein. Goseck jedenfalls belegt, wie die Erbauer die Wintersonnwende anhand trichterförmiger Einfallstore im Palisadenzaun taggenau bestimmen konnten. Und Bertemes nennt neue Forschungen, die für Goseck auch eine Sommersonnwendfunktion nahelegen.

Kultische Handlungen

Die Funde von Tier- und Menschenknochen deuten in Goseck wie auch anderswo auf kultische Handlungen und Initiationsriten bis hin zu Menschenopfern: Im bayerischen Ippesheim wurde sogar eine Frau senkrecht kopfüber in der Kreismitte bestattet. Die österreichischen und anderen Forscher interessieren sich aber immer mehr für die Steinzeit-Siedlungen in der Nachbarschaft der Kreisgräben. Auch Bertemes will Goseck sein Umfeld zurückgeben, wo Menschen zwischen Feldern und Wäldern in ihren Hütten lebten, die Kultstätte stets im Blick.