Archäologie Archäologie: Unerhörte Kunde aus dem Mittelalter
Halle/MZ. - Kurz vor dem Jahr 1284 gab ein Magdeburger Goldschmied seine Werkstatt nahe dem Kloster Unser Lieben Frauen auf, weil sein Haus für den Bau eines Hospitals abgerissen wurde. Und Anfang des Jahres 2005 stießen Archäologen auf die Stelle, wo der Goldschmied sein kostbarstes Inventar vergraben hatte. Der Ausgräber Dietmar Trauth zog eine Gussform nach der andern aus der Erde, bis zuletzt der ganze Fundus von rund 650 dieser Werkstücke vereint war.
Am Donnersatag wurde im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle eine kleine Auswahl davon erstmals vor den Medien präsentiert. Die Formen aus fast weißem, feinkörnigem Kalkstein sind nur handtellergroß, enthüllen aber beim Hinschauen einen Mikrokosmos: Mit unerhörter handwerklicher Präzision und Fertigkeit schälen sich aus dem Negativbild viele verschiedenartige Darstellungen heraus.
Ausgefeilte Geometrie
So fällt etwa eine figurenreiche Palmsonntag-Szene vom Einzug Christi nach Jerusalem auf, im Kreis eingefasst mit einer Inschrift. Jedoch überwiegen die profanen Motive und Ornamente, die in ihrer ausgefeilten Geometrie an die Rosettenfenster der Kathedralen erinnern. Vermutlich dienten diese Motive zum Gießen von Schnallen und anderen modischen Accessoires. Am meisten aber überrascht das große Repertoire an Spielsachen en miniature, vor allem der zünftige Ritter in voller Rüstung auf einem mit Kettenüberwurf armierten Pferd. Und spielten die Kleinen etwa auch mit dem Henkersmann, der unter Kapuze und Kutte voranschreitet, das Beil hoch erhoben?
Ornamentaler Zierrat
Vorerst kann auch die Wissenschaft diese Funde nur bestaunen. Landesarchäologe Harald Meller will eine Forschergruppe bilden, die sich mit dem Fund befasst. Das kann zwei bis drei Jahre dauern, und bis dahin sollen auch nur vereinzelt Stücke gezeigt werden. Meller nannte den Ritter und die Palmsonntag-Szene, die in die Ausstellung "Saladin und die Kreuzfahrer" aufgenommen werden, die am 21. Oktober öffnet.
Kunsthistorisch sind viele Motive noch zu verorten, wie zwei Vertreter der Universität Halle, der Architekturhistoriker Wolfgang Schenkluhn und der aus Göttingen neu berufene Professor für mittelalterliche Archäologie, Hans-Georg Stephan, hervorhoben. So verwiesen sie auf die erkennbare Nähe des Magdeburger Funds zum ornamentalen Zierrat der Naumburger Stifterfiguren (um 1250).
Aber es ist auch der Blick auf die erstaunlich raffinierte Gusstechnik, der noch zu vertiefen sein wird. Verästelte Belüftungskanäle wurden wie Wurmgänge durch den Stein getrieben. Auf ein und derselben Form wurden einzelne Zutaten gesondert gegossen, etwa Schild und Lanze des Reiters. Seite 1