Archäologie Archäologie: Nachricht aus dem Mittelalter
MAGDEBURG/MZ. - Somit ist es ein jungfräuliches Objekt der Forschung und umso wertvoller, als einiges darauf hinweist, dass die Gebeine samt golddurchwirktem Bischofsgewand, hölzernem Stab, Silberkelch, Handschuh, Ring und goldbesetzten Schuhen zu Erzbischof Wichmann von Seeburg (ca. 1116-1192) gehören, einem mächtigen Kirchenfürsten seiner Zeit.
Dass ein solcher Fund nun, wie Projektleiter Rainer Kuhn ankündigt, mit allen modernen Methoden untersucht wird, erscheint so selbstverständlich wie die Aussicht darauf, dass die Funde ausgestellt, und nur die Gebeine wieder in ihrer steinernen Sargkiste zur Ruhe gebettet werden. Ob Stimmen aus der Domgemeinde ethische Bedenken, gar Vorwürfe von Leichenfledderei erheben wie bei Editha, wird sich zeigen. Auf jeden Fall hat sich die Haltung der Wissenschaft zu diesen Fragen verändert.
Ein Beleg dafür ist die kürzlich veröffentlichte Autobiografie Ernst Schuberts, des Doyen der Naumburger und Merseburger Domforschung. Darin schildert er, wie er mit drei verschworenen Mitwissern in der Nacht zum 2. August 1961 das Grab Bischof Dietrichs II. öffnete. Der 1272 verstorbene Kirchenmann ist als Bauherr des gotischen Doms von Naumburg gewissermaßen Schuberts Lichtgestalt.
Aber was er von ihr sah, als die Grabplatte mittels Flaschenzug angehoben war, hat er erst jetzt mitgeteilt - und man staunt, dass die Grablege in fast allen Details dem Magdeburger Fund entspricht. Aber für den Archivar, Kunst- und Architekturhistoriker Schubert ist das kein wissenschaftlicher Anreiz, im Gegenteil: "Eine erneute Freilegung", schreibt er kategorisch, "könnte gewiss zur Befriedigung der bei offenen Gräbern allgemein verbreiteten Neugier beitragen, würde die Forschung jedoch nicht bereichern." Dass die Fachwelt ein halbes Jahrhundert später anders denkt, zeigt sich schon an den äußeren Umständen der aktuellen Bergung.
Kein Archäologe würde heute mehr behaupten, er ließe ein Grab unberührt, wenn er es öffnet, aber den Inhalt nicht antastet.
Im Magdeburger Dom wurde erst einmal ein Gehäuse errichtet, um die Arbeit bei kontrolliertem Klima zu verrichten, die Beteiligten trugen Schutzanzüge und Atemmasken. Für den Inhalt steht ein Kühlcontainer bereit, später werden die Stoffe getrocknet. Untersuchungen in alle Richtungen werden voraussichtlich vielerlei Auskunft über den Verstorbenen geben, werden Kleider und Schmuck analysieren.
Dass die materiellen Dinge und das, was sie über das Leben und die Zeit des Bischofs erzählen, somit in den Blick einer breiten Öffentlichkeit geraten, ist unausweichlich. Sie liefern einen weiteren Grund, die jüngst angekündigten Pläne für ein Magdeburger Dommuseum voranzutreiben. Mit der ehemaligen Staatsbank steht ein Haus in idealer Lage gegenüber der Westfassade bereit, und in der Tat stellt sich die Frage, was mit den Ergebnissen aus den Grabungen am und im Dom weiter geschehen soll.
Mehrere Dutzend Funde stammen noch aus Ernst Nickels Sondierungen am Domplatz aus den Jahren 1959 bis 1968. Er glaubte noch, die ottonische Pfalz entdeckt zu haben. Die jüngste Grabungskampagne seit 2001 dagegen hat das Bauwerk klar als eine gewaltige Kirche erkannt. War sie der ottonische Dom, gegründet 968? Oder Ottos Mauritiuskloster? Grandios jedenfalls war sie. Unter den mehr als 100 000 Funden aller Grabungen fallen die rund 200 Bruchstücke antiken Marmors auf.
Es sind Reste eines Ausstattungsprogramms von Fußböden, Säulen und Wandplatten. "Otto der Große", sagt Ausgräber Kuhn, "muss die Antike aus Italien tonnenweise nach Magdeburg geschafft haben". Das alles ergänzt das Bild von der einstigen Reichshauptstadt genauso wie die Grabungen unter dem gotischen Dom.
Das neu entdeckte Grab schneidet in seiner Lage drei Gräber, die Radiokarbonmessungen etwa um das Jahr 1000 datieren. Ein darin entdecktes goldenes Löwenköpfchen wird wiederum als Teil eines Bischofsstabes gedeutet. Somit war das Gebäude unter dem Dom schon im 11. Jahrhundert eine Kathedrale. Zwei Meter tiefer müssen die Archäologen noch graben, bis sie möglicherweise zum Ursprungsbau vordringen. Vielleicht ist dann das Rätsel um Ottos Dom gelöst.